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Popkultur

Sid Vicious & Nancy Spungen: Sex Pistols, Liebesflackern und Exzess

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Unser Autor hat sich aufgemacht die intensive Beziehung von Nancy Spungen und Sid Viscious zu ergründen. Emotionen einer innigen, tiefen und exzessiven Liebe entfachen ihre Funken in Zeiten des Punks. Realität und Fiktion verschwimmen dabei miteinander. Ein Soundtrack der Auflehnung und Anziehung bahnt sich seinen Weg. Finden sich Ursachen für das Drama in dem alles enden sollte? 

Staubwolken wirbeln in seine Lungen. Neben ihm müht sich dieses blonde Ding vergeblich an Johnny Rotten ab. Sie lässt nicht locker. Mit einem Ruck reißt Sid Vicious ihr die Decke weg und dreht sich um. Leise summt er Bowies Starman aus dem Radio mit, als Rotten aus dem Raum wütet. Also legt Nancy Spungen ihren Arm um Sid. Ein Moment, der Musikgeschichte schreibt.


Höre dir hier die Musik zur Story in einer Playlist an:


Es ist die Nacht, in der Sid Vicious entjungfert wird – der Auftakt eines Untergangs. Plötzlich wird der schüchterne Junge, der Unsicherheiten mit Witzen wettmachte, mit offensiver Weiblichkeit konfrontiert. Klar weiß er, was er hier mit diesem Mädchen anstellen soll. Zumindest die Kunstfigur, die er erschaffen hat, weiß das. Rausgeworfen aus der Schule, aufgenommen von der Punk-Bewegung. So klammert sich Sid auch jetzt an das, was Konstante werden soll. Feste Bindung zwischen all dem Chaos, das er selbst verursacht. Und in das ihn seine Mutter all die Jahre gestürzt hat. Lange lebte John Simon Ritchie von Umzug zu Umzug in verwahrlosten Wohnungen von London bis Ibiza. Immer auf der Suche nach Freunden. Sid war vor seinem Alter Ego so normal, wie es nur sein kann.



Unauffällig bis zur Unkenntlichkeit, um nicht anzuecken. 1973 lernte er Rotten kennen und tauchte ein in das Leben ohne Vorgaben. Auf der Straße verschlissen sie in ohrenbetäubender Schieflage Alice Coopers No More Mr. Nice Guy. Und nun liegt die Prostituierte und Stripperin in seinen Armen: mehr Ausflucht, mehr Exzess. Der Junge, der nie Bass spielen konnte und bei Sex Pistols-Shows den Pogo etabliert hat, hört hypnotisiert die krächzende Stimme von Nancy: “Du bist der Star!”. Seine Muse, hilft ihm zur völligen Auflösung vom kleinen John Simon. Sid wird zu dem, was er spielt – zur Inkarnation von Punk, zum lebenden Sinnbild eines aggressionsgeladenen Kampfes nach ultimativer Freiheit. Anarchy In The U.K.. Übersät mit Narben und diesem schelmischen Grinsen überm nackten Oberkörper. Mehr Hingucker als Musiker. Er ist der Magnet für die ersten Reihen, das, was die Sensationsgier sehen will. Nancy wacht über ihn, gibt ihm Feuer. Mit ihr kann er all das Chaos in seinem Kopf mit mehr Destruktivität füttern. Sid wankt im rosaroten Drogenrausch nach Hause und fällt aufs Bett. Im Radio hämmern The Clash White Riot. Nancy hockt am Boden und kocht die braune Suppe auf, um die Vicious elektrisiert herumspringt. Erstmals Heroin. Seit Jahren spritzt er mit seiner Mutter Speed, die Nadel schreckt ihn nicht ab. Bisher war ihm seine Mum Arzneischrank, jetzt springt Nancy als sorglose Substanzlieferantin ein. Keine dummen Kommentare, einfach abschalten. No Feelings.



Er lacht sich schlapp, als er mit Hepatitis im Krankenhaus liegt und Motörheads Overkill aufdreht, während er die wichtigsten Aufnahmen der Sex Pistols verpasst. Es ist die maximale Rebellion. Seine Liebe, die als Kind nur geschrien hat, ist auch jetzt lauter als er. Er mag das. Wenn Johnny dann Sid zur Besinnung kriegen will, wird sie zur Furie. Nancy verteidigt ihn, kümmert sich um die Beschaffung der Sucht. Sid grinst selig berauscht. Bis Pistols-Manager Malcom McLaren die Beiden auseinanderbringen will. Abgeschottet soll Vicious einen kalten Entzug machen. Nur noch Nancy muss weg – die Band soll ohne sie durch die USA touren. Holidays In The Sun. Nancy schmeißt den Tisch um und packt McLaren bei den Schultern. Er verspricht ein Haus für den Problemfall Sid und der geht. Widerwillig. Amerika wird zur Tortur für die Band. Gigs werden abgesagt und Sid kauert apathisch im Tourbus. Er wird zum Tier. Im Rausch langt er immer wieder nach seinen Bandkollegen, bis Rotten abreist. Die Sex Pistols sind Geschichte, Nancy fliegt sofort rüber. Aufatmen, in ihren Armen fühlt sich Sid sicher. Als romantischen Witz checken sie als “Mr. und Mrs. John Simon Ritchie” im Chelsea Hotel ein, New York. Ein letztes Mal flackert Sids Gewissen auf. Alle Zeichen stehen auf maximaler Hingabe zum Exzess. Die Fenster sind verhangen, Schuldzuweisungen fliegen durch den Raum. Nancy will Sids Verlust wieder gut machen, organisiert ihm Solo-Shows. In übertriebener Persiflage seiner selbst singt er im Fernsehen My Way von Frank Sinatra. Ironie, denn längst ist Sid nicht mehr Herr seiner Sinne.


Quelle: lynncinnamon.com

Der Notizzettel zeigt eine Auflistung der Gründe, warum Sid Nancy so liebt.                                 Quelle: lynncinnamon.com


Die nächsten Gigs werden zum Desaster, er taucht wieder ab hinter die dunklen Gardinen seines Hotelzimmers. Sucht und Streit spielen ihr irres Wechselspiel. Er wacht auf, benommen. Die wirren Flackerlichter New Yorks blenden ihn durchs zugezogene Fenster. Erinnerungen an London werden wach. Jeder Moment entfesselt eine schmerzende Intensität. Mit brennenden Augen blickt er auf Blut. Hilflosigkeit. Nein, Vater kommt auch hier nicht. Wie nie zuvor. Nancy liegt im Bad. Leblos. In zitternder Hektik greift er ihr Handgelenk, vergeblich. Sein Herz rast. Aufgeputscht pumpt es den Beat zu Ramones’ Listen To My Heart. Es ist der 12. Oktober 1978. Mit getrockneten Tränen sitzt Sid auf dem blutigen Bett und flüstert die Helter Skelter-Zeile: “Till I get to the bottom and I see you again.” Am 2. Februar 1979 stirbt Sid Vicious an einer Überdosis Heroin. Seine letzten Worte schrieb er auf einen kleinen Notizzettel.


Letzte Notiz

Quelle: lynncinnamon.com


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