Popkultur
Ist Rockmusik tot? Nicht wenn ihr richtig hinhört!
Ist Rockmusik tot? Alle Jahre wieder, so scheint es, läuten die großen Musikzeitschriften die Totenglocke für die Rockmusik. “Rock ist tot. Gott sei Dank!” schrillen die Headlines. “Rock’n’Roll ist tot. Diesmal wirklich!” lauten die ewig gleichen Vorhersagen. Und jedes Jahr werden diese Behauptungen mit den gleichen Beispielen belegt, die gar keinen Bezug zu der eigentlichen Frage haben.
von Caren Gibson
Zunächst diskutiert man die alten Helden. Die werden nicht jünger und auch wenn sie aktuell noch respektable Ticketverkäufe vorweisen können, werden sie natürlich irgendwann verschwinden. Danach wendet man sich aktuelleren Acts zu, die ebenfalls ohne große Mühe Hallen füllen. Und trotzdem wird die Frage offen gelassen, ob Bands wie Queens Of The Stone Age, Black Stone Cherry oder Twenty One Pilots je die luftigen Höhen eines Festival Headliners erreichen können.
Neue Helden, große Vorbilder: Hört hier in die Klassiker rein, die unsere neuen Rockstars inspiriert haben:
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Was die “Experten” sagen
Manchmal mischen sich richtige Gelehrte ein. “Branchenexperten” tun ihre Meinung darüber kund, ob Rockmusik tot ist, und versuchen damit, der Unterhaltung mehr Gewicht zu verleihen. Dann klinken sich Musiker ein und erklären, dass Rockbands immer wieder die gleichen, vorhersehbaren Ideen und Riffs hochwürgen, meistens um ihre alten, vorhersehbaren Ideen und Riffs zu promoten; und überhaupt, sind das nicht genau die Leute, die den Kurs ändern und von dem Eisberg wegsteuern könnten, auf den wir uns zubewegen?
Aber 2017 veränderte sich die Musiklandschaft. Eine Studie von Nielsen in den USA kam zu dem Ergebnis, dass Hip-Hop und R&B zum allerersten Mal als meistkonsumierte Genre an der Rockmusik vorbeigezogen waren. Die Studie berücksichtigte Albumverkäufe, Downloads sowie Audio- und Videostreams und in den gesamten Top 10 tauchen nur zwei Künstler auf, die weder aus dem Hip-Hop noch aus dem R&B kommen (nämlich Ed Sheeran und Taylor Swift). Außerdem haben diese Genres einen großen Beitrag zum Aufstieg von On-Demand Streamingdiensten in den USA geleistet.
Absolut nicht selbstzerstörerisch: Metallica waren 2017 die erfolgreichste Rockband. Photo: Ross Halfin
Weiterhin kam der Report zu dem Ergebnis, dass Metallica der erfolgreichste Rockact 2017 waren, was an der 2016 erschienen Sammlung aufpolierter, neu verpackter und erweiterter Reissues, Hardwired… To Self-Destruct, lag, die auch die Thrash-Klassiker Ride The Lightning und Master Of Puppets enthielt. Vielleicht wollten sie mit diesem nochmaligen Verkauf ihres Backkatalogs Kapital aus ihrer Langlebigkeit schlagen, denn natürlich sind es vor allem die Albumverkäufe, die im Rock wirklich etwas bedeuten.
Michael Jackson steht mit rund 66 Millionen verkauften Exemplaren von Thriller immer noch auf Platz 1 der meistverkauften Nicht-Compilation Alben aller Zeiten. Aber es gibt weitere Alben, die immerhin die 40-Millionen-Marke geknackt haben, darunter die Eagles mit ihren Greatest Hits (1971-75) und Hotel California, AC/DCs Back In Black, Pink Floyds The Dark Side Of The Moon, Meat Loafs Bat Out Of Hell und Rumours von Fleetwood Mac. Whitney Houston und die Bee Gees sind die einzigen anderen Künstler, die ein Album mit über 40 Millionen Verkäufen vorweisen können.
Etwas genauer hinschauen
Aber: Jedes einzelne dieser Alben aus dem Rockbereich erschien in den 70ern, sodass sie über 40 Jahre Zeit hatten, diese Zahlen zu erreichen. Und da Verkaufszahlen dieser Art im freien Fall sind und Chartpositionen von Streams und Airplay gestützt werden, sieht die Lage für Rockmusik langsam etwas düster aus. Wenn man allerdings etwas genauer hinschaut, dann rumort es dort und es deutet einiges darauf hin, dass das Herz des alten Köters noch kräftig schlägt.
Nehmen wir zum Beispiel Imagine Dragons: Im August 2018 wurde das Quartett aus Las Vegas zur ersten Band in der Geschichte der Charts, die Platz 1 bis 4 der Billboard Hot Rock Songs Charts besetzten. Und das war kein Ausreißer. Ihre aktuelle Single Natural stieg auf Platz 4 der Charts ein und die drei vorhergehenden Singles Thunder, Whatever It Takes und Believer, die allesamt von ihrem aktuellen Album Evolve stammen, haben jeweils 22, 17 bzw. 29 Wochen auf Platz 1 verbracht.
Ihr Weg zum Erfolg war langsam aber konstant. Gegründet wurde die Band 2008, als Frontmann Dan Reynolds an der Brigham Young University in Utah auf Drummer Andrew Tolman traf. Die Beiden taten sich mit dem Gitarristen Wayne Sermon und dem Bassisten Ben McKee zusammen und veröffentlichten ab 2009 drei EPs. Ab 2011 konnte man den zukünftigen Erfolg schon fast riechen, aber bis zu ihrem Durchbruch dauerte es noch weitere drei Jahre. Erst als die Electro-Rocker 2014 für ihren Hit Radioactive mit dem Grammy für die Beste Rock Performance ausgezeichnet wurden, waren sie in aller Munde und verbrachten unglaubliche 18 Monate in den Billboard Hot 100.
Mittlerweile haben Imagine Dragons drei Alben veröffentlicht und bewegen sich damit irgendwo zwischen Rock, Electropop und R&B. Einige sind nicht der Meinung, dass sie mit ihrem oftmals poppigen Sound wirklich würdige Nachfolger für die großen Rocklegenden sein können. Aber Rock hatte schon immer ein paar Finger auf dem Synthesizer und auch die Tendenz, mit einem radiofreundlicheren Sound zu experimentieren. Denken wir nur an Bon Jovi, die Mitte bis Ende der 80er regelmäßig das obere Ende der Singlecharts angriffen, oder U2, die gerne mal mit einem Synthesizer-lastigen Popsound experimentierten. Man könnte das sogar bis zu den Beatles zurückverfolgen, deren Einflüsse vom Merseybeat-Rock von Love Me Do bis zu dem schrägen I Am The Walrus und dem knallharten Back In The USSR überhaupt keine Grenzen zu kennen schienen.
Ob man den Hybrid-Sound von Imagine Dragons nun als Rock bezeichnen will oder nicht – auf jeden Fall hat er ihnen Arenen auf der ganzen Welt gefüllt. Und auch wenn die Fans in diesen Locations oft eine gewisse Distanz zu den Künstlern bemängeln, ist ihre Musik in der Lage, das Publikum auch hier auf persönlicher Ebene zu erreichen. Vielleicht ist es diese gemeinsame Ebene, die die Rocker aus Nevada zu einer langfristig erfolgreichen Band machen wird. Immerhin sind es üblicherweise die Spätzünder, die am längsten brennen.
Shakedown Special
Wer es etwas rauer mag, für den lassen Tyler Bryant & The Shakedown Erinnerungen an eine Zeit Anfang bis Mitte der 2000er Jahre wach werden, als Garage Rocker wie Black Rebel Motorcycle Club als Retter der Rockmusik gehandelt wurden. Ihre Coolness erinnert an ihre Wahlheimat Nashville, Tennessee, und sowohl ihr Stammbaum als auch ihre bisherige Laufbahn lassen auf eine lange Karriere hoffen.
Schon als er mit sechs Jahren anfing, Gitarre zu spielen und sein Handwerk von dem erfahrenen Bluesveteranen und Mentor Roosevelt Twitty erlernte, wusste Bryant ganz genau, dass er ein Rockstar werden würde. Er war ziemlich frühreif und bald wurde Gitarrenlegende Eric Clapton auf sein außergewöhnliches Talent aufmerksam. 2007 lud er den damals 15-Jährigen ein, bei seinem Crossroads Guitar Festival in Chicago aufzutreten.
Die Band The Shakedown entstand, als Bryant mit 17 aus seiner Heimatstadt Honey Grove, Texas, nach Nashville zog. Es dauerte nicht einmal eine Woche, da hatte der Sänger und Gitarrist schon die Bekanntschaft von Drummer Caleb Crosby gemacht. Die Chemie stimmte und so gründeten sie das Fundament ihrer jetzigen Band. Sie lernten den Gitarristen Graham Whitford – Sohn des Aerosmith-Gitarristen Brad – kennen und überredeten ihn, Boston zu verlassen. Und schließlich stieß noch Bassist Noah Denney dazu.
Mit ihrer aufregenden Mischung aus Southern-, Blues- und Roots-Rock erarbeiten sich Tyler Bryant & The Shakedown ihr Publikum auf traditionelle Art und Weise: durch unermüdliches Touren. Seit ihrem ersten Auftritt als Support von REO Speedwagon in Amarillio ist die Band fast ununterbrochen unterwegs, hat die Bühne mit Acts wie AC/DC, Aerosmith, BB King, Jeff Beck und ZZ Top geteilt und einige ausgewählte Termine auf Guns N’ Roses’ Not In This Lifetime…-Tour gespielt. Diese Band stellt sich selbst in eine Reihe mit den Großen der Hardrock-Welt und sie ist absolut in der Lage, mit ihnen mitzuhalten.
Bands wie Tyler Bryant & The Shakedown passen gut in eine bestimmte Schublade, aber es gibt auch solche, die man fast als Anomalie bezeichnen möchte. Eine davon ist Broken Witt Rebels. Wenn man in das selbstbenannte Debütalbum reinhört, denkt man sofort an Cowboyhüte und Stiefel. Aber der Opener Loose Change wäre der perfekte Soundtrack für eine abgerockte Bar in Nashville, wohingegen der sanfte Southern Groove von Shake Me Down eher auf eine Herkunft aus Georgia oder Mississippi schließen lässt.
Das gleiche gilt für die Texte. Snake Eyes zum Beispiel: “Here in the south/Where the river runs dry/I’m gonna hang from the noose, baby/If you tell me no lie”. Diese Bluesrocker können nur von einem Ort kommen, oder? Dann dürfte es die Leute überraschen zu hören, dass Frontmann Danny Core ein Maler und Tapezierer aus Birmingham in England ist.
Broken Witt Rebels wurden 2013 gegründet und bezeichnen sich selbst als Brüder. Core und Bassist Luke Davis waren schon vor der Grundschule befreundet und gründeten die Band, als sie beide als Maler arbeiteten. Aber neben dem Southern Rock’n’Roll-Vibe brachte Gitarrist James Tranter Blues- und Hardrockeinflüsse und, dank seiner Leidenschaft für Jimi Hendrix, Jimmy Page, Eric Clapton und Oasis, die der Grund für sein Musikstudium und seinen erstklassigen Abschluss waren, auch ein Ohr für Pop.
Aber an diesen Rockern aus den englischen Midlands ist noch viel mehr dran als nur ihr Sound. Ihre Musik hat erstaunlich viel Soul und das bekommen einfache Nachahmer so garantiert nicht hin. Soul lernt man nicht aus einem Notenbuch, der kommt aus dem Herzen. Was außerdem aus dem tiefsten Inneren kommt, ist ihre Hartnäckigkeit und ihr Wille, groß rauszukommen. Sie haben sogar ihre Jobs hingeschmissen, um ausgiebig auf Tour zu gehen, denn nur so können sie ihren Namen und ihre Musik verbreiten.
Aber wie gut sind sie den nun? Wenn man der Band Glauben schenkt, sind sie fantastisch. Und sie sagen das ohne jede Arroganz. Die Behauptung kommt von einer Band, die weiß, dass sie etwas zu bieten hat und die selbstbewusst genug ist, um hart dafür zu arbeiten und sich auf endlosen Tourneen zu beweisen: zumindest wenn sie nicht gerade ihrem Produktionseifer nachgehen. Nichtmal ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums hat die Band die Aufnahmen zum Nachfolger abgeschlossen. Vielleicht gibt es eine leichte Diskrepanz zwischen ihrem ‘Jungs auf Tour’-Look und ihrer Musik, aber eigentlich bedeutet es doch nur, dass die genau von da kommt, wo sie herkommen soll, nämlich aus dem Herzen. Und mit einem Riecher für den Mainstream, der an Kings of Leon erinnert, warum sollen sie da nicht ähnlich erfolgreich werden?
Für den Erfolg geboren
Wenn ein Gespür für kommerzielle Musik ein Faktor für Erfolg ist, dann haben einige ein angeborenes Talent für Songwriting. Ein Beispiel ist der in Nashville geborene Jaren Johnston, der, wenn er nicht gerade Hits für Countrystars wie Keith Urban, Tim McGraw und Jake Owen schreibt, als Frontmann von The Cadillac Three in Erscheung tritt. Als Sohn eines Musikers – Jerry Ray Johnston, Drummer der 80s Countryband Bandana – war er vielleicht dafür geboren.
Johnstons eigene Karriere begann mit der Band American Bang. Sie waren bei Warner unter Vertrag und mit ihren zwei Studioalben und der Single Wild And Young relativ erfolgreich, schnupperten sogar an den Charts. Nach ihrer Auflösung, gründete Johnston mit seinen Highschool-Freunden und ebenfalls Ex-American Bang-Mitgliedern Kelby Ray und Neil Mason die Vorstufe der Cadillac Three. Und mit zwei gefragten Songwritern in ihrer Mitte – Masons Auftragsbuch enthält Namen wie Jake Owen, Kelly Clarkson und Rascal Flatts – gibt es an neuen Songs keinen Mangel.
Für The Cadillac Three passte Country und Southern Rock perfekt zusammen und das Ergebnis ist so stark wie die “Whiskey-auf-der-Veranda”-Atmosphäre, die auch die Geschichten ihrer Songs prägt. Sie weichen kaum von der Heiligen Dreifaltigkeit des Southern Rock ab (also Whiskey, Frauen und das Leben in den Südstaaten), aber es fühlt sich an, wie wenn man eine alte Jeans anzieht: Es ist ein Basic, das es schon seit Jahrzehnten gibt, das aber einfach extrem bequem ist.
Wie eine moderne Version von Lynyrd Skynyrd oder den Allman Brothers Band für das 21. Jahrhundert macht es den Cadillac Three überhaupt nichts aus, einen Gig nach dem anderen zu spielen und dabei vor und zurück über den Atlantik zu fliegen. 2015 hatten sie am Freitag eine Show in den Staaten und flogen dann nach England zum Download Festival, wo sie am Samstag auftraten. Kaum war der letzte Akkord verklungen, waren sie schon auf dem Rückweg in die USA, wo sie am Sonntag bei einem weiteren Festival gebucht waren.
Sie erfinden den Rock’n’Roll nicht neu, aber da er ja nicht kaputt ist, warum sollte man ihn reparieren? Kelby Ray meint, dass es vor allem die Ehrlichkeit in ihrer Musik ist, die die Leute begeistert und mit der sie eine Beziehung zu den Fans aufbauen. Sie tragen ihr Herz auf der Zunge und schließlich geht es doch beim Rock’n’Roll vor allem um den Spaß.
Mit ihrem aktuellen Album Legacy, das legt der Titel schon nahe, wollen sie ihre Musik aus einer anderen Richtung angehen, nämlich mit der Frage, was sie hinterlassen werden und wofür man sich an sie erinnern wird. Und da sie zwei sehr erfolgreiche Songwriter haben, können sich The Cadillac Three die Rosinen aus ihrem Katalog herauspicken. Eigentlich sollte der Titel verschiedenen Künstlern wie Tim McGraw, Faith Hill oder Eric Church angeboten werden. Aber dann hörte Mason ihn und meinte, dass sie selbst damit arbeiten sollten. Es fühlte sich einfach richtig an. The Cadillac Three können offenbar Hits auf Knopfdruck liefern. Dem Fortgang ihrer Karriere ist folglich nach oben keine Grenzen gesetzt.
Aber wo Whiskey und sorgloser Southern Rock Hand in Hand gehen, wird es für einige gefährlich. Nach dem Tod eines früheren Bandkollegen, der Probleme mit Alkohol hatte, dachte Rich Moss, seine Musikkarriere wäre vorbei. Aber wenn man einmal Rock’n’Roll-Blut geleckt hat, kommt man da schwer wieder von los. Nach vier Jahren Pause gründete Moss 2012 die Band Stone Broken.
Foto: Paul Harries
Der erste Song, den er mit seinen Bandkollegen, dem Gitarristen Chris Davis, Bassist Kieron Conroy und Drummer Robyn Haycock, schrieb, hieß This Life und er wurde quasi ihr Erfolgsrezept für die Zukunft. “Es geht darum, sich das rauszusuchen, was man gut kann und es zu nutzen, denn man hat nur ein Leben, nur einen Versuch”, sagt Moss. “Als wir die Band gründeten, waren wir viel reifer und wussten, wie der Hase läuft in dieser Branche. Darum waren wir uns einig, dass wir keine halben Sachen machen wollten.”
Nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums All In Time konnten die Rocksender den hymnischen Hardrock mit den stadiontauglichen Riffs und Refrains gar nicht schnell genug auf ihre Playlisten setzen. The Cadillac Three hatten immer Schwierigkeiten, ins Radio zu kommen, aber Stone Broken haben offenbar einen Sound, der einen Nerv trifft. Es ist derselbe Weg, den Def Leppard in den 80ern mit Pyromania und Hysteria gegangen sind. Und nun, etwas über 35 Jahre später, flirtet wieder eine neue britische Hardrockband mit dem Mainstream.
Ihr zweites Album Ain’t Always Easy ist voller gewaltiger Riffs und Refrains. Stone Broken sind selbstbewusst und haben keinen Zweifel an den Zielen, die sie sich gesteckt haben: Sie wollen in Arenen spielen – genau wie die Bands, die sie inspiriert haben, so wie Black Stone Cherry und Alter Bridge. Und mit Songs wie Worth Fighting For, Let Me See It All und I Believe scheint sich die Band fast selbst anzutreiben und zu motivieren. Melodien und Riffs, mit denen man Stadien füllen kann, haben sie schon. Das ist die halbe Miete.
Nach Legendenstatus streben
Einige Bands orientieren sich an anderen aktuellen Künstlern, um sich zu positionieren. Andere greifen direkt nach den Sternen und streben nach Legendenstatus. Greta Van Fleet müssen ihren Weg in den Mainstream zwar noch finden, aber wenn man sieht, was für eine Welle sie gerade machen, kann es nicht mehr lange dauern.
Gegründet wurde die Band 2012 von drei Brüdern: den Zwillingen Josh und Jake Kiszka (Gesang und Gitarre) und dem Bassisten Sam Kiszka. Im folgenden Jahr stieß ihr langjähriger Freund und Drummer Danny Wagner dazu. Ein früher Track der Hardrocker aus Michigan wurde in einer Chevy-Werbung in der Region eingesetzt, aber auf mehr Aufmerksamkeit musste die Band bis 2017 warten. Der Stein geriet erst ins Rollen, als ihr Track Highway Tune im Januar 2016 in der US-Version der Comedy/Drama-Serie Shameless eingesetzt wurde. Ein Jahr später wurde der Song veröffentlicht und iTunes und Apple Music machten Greta Van Fleet zum Künstler der Woche. Damit öffneten sich die Schleusen im wahrsten Sinne des Wortes. Ende des Jahres heimsten sie schon Awards ein und eröffneten einen Abend für die Rocklegende Bob Seger. Und natürlich war ihre erste Tour innerhalb von fünf Minuten komplett ausverkauft.
Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum: Sänger Josh klingt verdammt nach Robert Plant. Die Ähnlichkeit hat der Led Zeppelin-Sänger selbst schon anerkannt. Andererseits haben schon viele versucht, dem legendären Frontmann nahezukommen, und auf ganzer Linie versagt. Bei Josh ist das einfach das, was aus seinem Mund kommt, wenn er singt. Und auch wenn das junge Quartett nicht leugnet, dass sie die britischen Rockikonen mögen, legen sie doch großen Wert darauf, dass ihre Einflüsse sehr viel vielseitiger sind.
Die Mitglieder von Greta Van Fleet wuchsen mit alten Vinyls auf und da überrascht es nicht, dass ihr Sound viele Einflüsse aus den 60er und 70er Jahren aufweist und dass es sich dabei fast ausschließlich um Rock- und Blues-Acts handelt. Aber obwohl ihre wichtigsten Inspirationsquellen z. B. The Who, Cream, Jimi Hendrix, Black Sabbath, Deep Purple, Janis Joplin, John Lee Hooker und Muddy Waters heißen, hatten sie nie vor, eine Rock’n’Roll-Band zu werden. Aber sie spielen mit dem Herzen, nicht dem Kopf, und so entsteht aus dem Chemie zwischen den vier Musikern unweigerlich Rock’n’Roll.
Greta Van Fleet haben noch nicht einmal ihr Debütalbum veröffentlicht (bisher gibt es nur die Doppel-EP From The Fires), trotzdem legen sie für sich selbst einen hohen Maßstab an. Einige Bands sind dafür berühmt, unvergessliche Debütalben veröffentlicht zu haben – Greta Van Fleet denken da insbesondere an Van Halen, The Black Crowes und Led Zeppelin. Das möchte die junge Band ebenfalls erreichen und unbedingt ein Debütalbum produzieren, über das man noch lange reden wird.
Ohne viel künstliches Tamtam erregt diese kleine Band aus der Kleinstadt Frankenmuth in Michigan gerade viel Aufmerksamkeit in der Rockwelt. Im September 2017 traten Greta Van Fleet zum ersten Mal in Großbritannien, im winzigen, in einer dunklen Seitengasse in Camden versteckten Black Heart Pub auf. Und jetzt hat die junge Rockband über einen Monat vor Erscheinen ihres Debütalbums Anthem Of The Peaceful Army einfach mal zwei Abende im Kentish Town Forum im April 2019 ausverkauft, und die anderen Daten sind nicht weit davon entfernt.
Das vielleicht Beeindruckendste an Greta Van Fleet ist allerdings, dass sie erst 19 (Sam und Danny) und 22 (die Zwillinge) Jahre alt sind. Alter ist natürlich kein Hindernis, aber es bedeutet, dass sie noch wachsen werden und man unmöglich vorhersehen kann, was sie mit mehr Zeit und Erfahrung alles erreichen können. Könnten sie die Retter der Rockmusik sein, die Medien und Festivalveranstalter so verzweifelt suchen? Auf jeden Fall wird es in Großbritannien bald sehr viel mehr Menschen geben, die die Band live sehen, als die 100, die das bisher von sich behaupten können.
Ist Rockmusik tot?… Passt auf!
Mit ständig sinkenden Albumverkäufen in den letzten Jahren mag Michael Jackson für alle Ewigkeit auf Platz 1 der bestverkauften Alben aller Zeiten sitzen. Und Hip-Hop und R&B können gerne im Bereich Streaming und Radio glänzen. Im Livebereich hält die Rockmusik immer noch das Zepter in der Hand. 2017 verdienten Guns N’ Roses mit ihrer Not In This Lifetime…-Tour fast eine halbe Milliarde Dollar. Das ist die vierterfolgreichste Tour aller Zeiten nach den Rockgiganten Coldplay, The Rolling Stones und U2.
Unterm Strich ist die Rockmusik der größte Überlebenskünstler der Musikwelt und hat dem Auf und Ab wechselnder Trends für über sieben Jahrzehnte widerstanden. Legenden werden nicht über Nacht geboren und auch wenn man sich das heute schwer vorstellen kann: Es gab eine Zeit vor Led Zeppelin, The Who, The Beatles, The Rolling Stones, Black Sabbath, usw. Sie alle waren mal unbekannte Bands und nur mit der Zeit und dank ihrer Langlebigkeit können sie über soviele Jahre begeistern. Rockmusik überlebt alle kulturellen Trends und genau um dagegen zu rebellieren gibt es alle der genannten Bands. Wird eine von ihnen 2028 als Headliner bei den großen Festivals auftreten? Wenn wir eine Zeitmaschine hätten, könnten wir es herausfinden.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 24.9.1991 zelebrieren die Red Hot Chili Peppers „Blood Sugar Sex Magik“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 24.9.1991.
von Christof Leim
Kontrollierter Wahnsinn: Als die Red Hot Chili Peppers sich auf die Essenz ihres Sounds besinnen, passt plötzlich alles zusammen. Mit Blood Sugar Sex Magik schafft das kalifornische Quartett 1991 den höchst erfolgreichen Spagat zwischen hartem Groove und großen Songs. Eine Geschichte über Funk, Punk, Drogen und die Reduktion aufs Wesentliche.
Hört hier in Blood Sugar Sex Magik rein:
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1991 war ein wichtiges Jahr für harte Musik. Alternative und Crossover vertreiben damals den pompösen Hard Rock der Achtziger vom Thron, eine Zeitenwende, die vor allem drei wichtige Werke begleiten: Nevermind von Nirvana inspiriert all das schöne Geschrammel der Neunziger. Metallica schießen mit ihrem schwarzen Album den Metal in den Mainstream, was viele ihrer Kollegen zu härteren Sounds im Untergrund inspiriert. Für den groovigen Stoff mit Crossover-Qualitäten schließlich legt vor allem Blood Sugar Sex Magik von den Red Hot Chili Peppers einen immens wichtigen Grundstein. Alle drei Platten erscheinen innerhalb von wenigen Wochen, zwei sogar am gleichen Tag, und allesamt werden sie zu Millionensellern. Dies ist die Geschichte des verrücktesten, wildesten und buntesten Albums der drei.
Strategisch platzierte Socken
Bis zu diesem Album hatten die 1983 in Los Angeles gegründeten Red Hot Chili Peppers als wildes Punk-Funk-Acid-Rock-Quartett lediglich Achtungserfolge einfahren können, immerhin aber mit der Angewohnheit geglänzt, sich nur mit einer Socke zu kleiden – und zwar nicht an den Füßen. Sänger Anthony Kiedis und Bassist Michael „Flea Balzary” kennen sich schon aus der High School und legen mit Gitarrist Hillel Slovak die stilistischen Grundlagen, die harten Rock mit Funk und schrägen Tönen kombiniert. Leider gehören harte Drogen bei der durchgeknallten Bande zum Alltag: Slovak stirbt am 25. Juni 1988 mit 26 Jahren an einer Heroin-Überdosis. Das wiederum stürzt Drummer Jack Irons in eine tiefe Depression. Er verlässt die Band und taucht erst Jahre später wieder bei Pearl Jam auf. Für ihn kommt Chad Smith.
Immer gut gekleidet und ernsthaft bei der Sache: Die Red Hot Chili Peppers
Die Gitarre übernimmt der gerade mal 18-jährige John Frusciante, ein begnadeter Musiker und großer Peppers-Fan, aber auch ein schwieriger Charakter, wie sich noch rausstellen sollte. Über sich selbst sagt er: „Bevor ich zur Band gekommen bin, war ich kein Funk-Gitarrist. Wie ich gut mit Flea zusammenspiele, habe ich komplett von Hillel gelernt – und das habe ich dann auf den Kopf gestellt.“ Mit Smith und Frusciante steht das Line-up, mit dem die Red Hot Chili Peppers ihre größten Erfolge feiern würde. Auf dem vierten Album Mother‘s Milk (1989) zündet das zunächst nicht, vielleicht auch, weil Produzent Michael Beinhorn (Soundgarden) der Scheibe einen breiten, verzerrten Gitarrenton mit wenig eigener Note verordnet.
Der wahre Pfeffersound
Erst zwei Jahre später findet der Vierer seinen Sound: Vorher mögen sie ungestüm geklungen haben, später zu poppig und beliebig. Blood Sugar Sex Magik jedoch explodiert punktgenau, knackig, groovig, wild, aber doch melodisch lecker. Das liegt vor allem an Produzent Rick Rubin, der das tut, womit er noch vielen Musikern helfen sollte: Er reduziert die Band auf ihre Essenz. Zudem schätzen die Peppers ihn im Gegensatz zu seinen Vorgängern genug, um ihn nach Ideen und Rat zu fragen, wenn es nicht weiter geht. Wie Kiedis in seiner Biografie Scar Tissue schreibt, hilft Rubin oft bei den Schlagzeugarrangements, Gitarrenmelodien und sogar Texten. Das Ergebnis zeichnet sich insbesondere durch einen wesentlich aufgeräumteren, gerade zu furztrockenen Klang aus, der auf Reverb und Distortion verzichtet. Zum anderen entdecken die vier Musiker die Welt der Melodien und Hooklines. Kiedis erinnert sich: „Wir waren nie so produktiv wie mit Rick. Meistens haben wir den ganzen Tag gejammt, irgendwann kam er dann vorbei, legte sich stundenlang auf‘s Sofa und machte Notizen.“ Die Maxime lautet klar: Weniger ist mehr. „Sein wichtigster Einfluss lag darin, uns zu sagen, was wir nicht machen sollten“, fasst Flea zusammen. „Er hat uns beigebracht, uns auf den Song zu fokussieren.“ Vor allem bei Frusciante rennt Rubin offene Türen ein: Der Gitarrist spielt fast clean und sagenhaft reduziert, aber nie zu wenig oder gar zu viel.
Losgelassen
Blood Sugar Sex Magik erscheint am 24. September 1991, am gleichen Tag wie Nevermind, und stellt satte 17 Songs lang eine offensichtliche Weiterentwicklung des Chili-Sounds dar. Inhaltlich dreht sich alles um Sex, Drogen, Tod, aber auch Hedonismus, Lust und Ausgelassenheit. Die Sause beginnt mit dem vehementen The Power Of Equality, das auf einem bemerkenswert einfachen und komplett unverzerrten Riff basiert, das wie ein Sample durchläuft und zusammen mit der ballernden Rhythmusfraktion eine vehemente Wirkung entfaltet. Zusammen erinnert das an die Unnachgiebigkeit von Hip Hop-Grooves und sollte typisch für Crossover werden. If You Have To Ask lässt mit furztrockenem Midtempo-Rhythmus unerbittlich jeden Kopf nicken, mit knackig akzentuierter Gitarre links im Mix und mitreißenden Bassläufen rechts. Kiedis kommt mit Sprechgesang aus, im Chorus tönt ein Falsett-Background mit Ohrwurmqualitäten, und Frusciante spendiert ein fuzzbetontes Solo aus der Hendrix-Schule.
If You Have To Ask wird als letzte von fünf Singles veröffentlicht und sollte fortan an so ziemlich jeder Tour zum Einsatz kommen. In eine ähnliche Kerbe schlagen viele der Nummern, etwa Mellowship Slinky In B Major oder der herrliche Off-Beat-Stampfer Funky Monks. Hier lohnt es sich, den clever verzahnten Einsätzen von Bass und Drums Gehör zu schenken. Doch die Chili Peppers wissen neuerdings auch mit Melodie umzugehen: Das akustische Breaking The Girl könnte genauso gut von Led Zeppelin stammen. Kiedis singt dazu von seinem unsteten Liebesleben und der Befürchtung, als Womanizer in Einsamkeit zu enden. Der Song wird die vierte Single und verkauft dank der einprägsamen Gesangsmelodie ausgesprochen gut. Ganz zart klingt auch I Could Have Lied, eine Akustiknummer über die kurze Beziehung des Sängers zur irischen Musikerin Sinéad O’Connor.
Nina Hagen hilft
Doch das Quartett langt auf der Scheibe vor allem kräftig hin: So sorgt Suck My Kiss für richtig Druck. Erwartungsgemäß handelt das ebenfalls ausgekoppelte Stück von geschlechtlichem Nahkampf und gehört zu den bekanntesten Nummern der Band. Noch dicker kommt‘s mit der Vorabveröffentlichung Give It Away: Wer hier nicht hüpft, kopfnickt oder zumindest den Fuß bewegt, kommt vermutlich lebenslang mit Yoga-Ambient-Sounds aus. Die Nummer basiert auf einem zappeligen Bass-Riff von Flea und schiebt in der Strophe wie ein Traktor. Entstanden war die Nummer aus einer Jam-Session, der Kiedis spontan die Zeile „Give it away, give it away, give it away, give it away now“ beisteuerte. Wie er es schafft, dabei das „R“ zu rollen, obwohl in der Zeile keines vorkommt, wird wohl ein Mysterium bleiben. Textlich stand hier übrigens die deutsche Punk-Ikone Nina Hagen Pate, die ihrem zeitweiligen Lover Kiedis neue Einblicke in den Wert von Selbstlosigkeit und der Nutzlosigkeit materieller Besitztümer eröffnete. In den Strophen singt der dann noch über seinen langjährigen Kumpel River Phoenix, über Bob Marley und natürlich über Sex. Im Mainstream findet Give It Away zunächst kaum Beachtung. Angeblich ließen mehrere Radiostationen durchblicken, dass die Band sich doch bitte wieder melden solle, wenn es eine Melodie in dem Song gäbe. Ein Sender aus Los Angeles namens KROQ beginnt allerdings, das Lied gleich mehrmals am Tag zu spielen und sorgt damit für den Durchbruch. Noch heute gehört Give It Away zu den beliebtesten Nummern im Werk der Band.
Die von Rick Rubin heraufbeschworene Macht der Reduktion zeigt sich schließlich im Titelstück Blood Sugar Sex Magik, das groovt wie Hölle. Es fehlt nichts, es ist alles da und lässt die Köpfe nicken. Man kann sich fast vorstellen, dass das sogar den Jungs von AC/DC gefallen könnte.
Die Brücke zur Hitsingle
Doch wirklich durch die Decke geht es mit Under The Bridge, der Megaballade und zweiten Single des Albums. Dabei hegt die Band zunächst so große Zweifel am Potenzial der Nummer, dass Mitarbeiter von Warner Records ein Peppers-Konzert besuchen, um die beste Auskopplung zu finden. Ausgerechnet bei Under The Bridge verpasst Kiedis seinen Einsatz – und das gesamte Publikum übernimmt. Der Sänger entschuldigt sich hinterher, doch die Warner-Leute lachen nur: „Wenn jeder einzelne Zuschauer einen Song singt, dann ist das unsere nächste Single.“ Die Entscheidung zahlt sich aus: Ab Mai 1992 kann man Under The Bridge auf MTV und im Rockradio nicht aus dem Weg gehen. Das Ding explodiert, und die Red Hot Chili Peppers haben es endgültig an die Spitze und in den Mainstream geschafft.
Die Nummer ist aber auch zu schön: Hinter der bittersüßen Melodie steckt ein Gefühl der Einsamkeit, das Kiedis zu Beginn der Aufnahmen beschleicht, weil er sich – mittlerweile clean von Drogen – von den dauerkiffenden Flea und Frusciante entfremdet fühlt. Lediglich seine Heimatstadt scheint noch sein Freund zu sein, was ihn an seine schlimmsten Junkie-Zeiten und die gescheiterte Beziehung zur britischen Schauspielerin Ione Skye erinnert: „Ein wundervolles Mädchen. Doch anstatt bei ihr zu sein, habe ich unter einer Brücke gestanden und mir mit irgendwelchen verdammten Gangstern Heroin gespritzt.“ Der Song bleibt besinnlich und endet auf Rubins Anraten mit einem epischen Chor, den Frusciantes Mama Gail und ihre Freunde einsingen. Wo genau die besagte Drogen-Brücke allerdings steht, hat Kiedis nie verraten, zu sehr beschämt und schmerzt ihn diese Episode. Aus Interviews und Hinweisen in Kiedis Autobiografie Scar Tissue hat der Autor Mark Haskell Smith jedoch geschlossen, dass es sich um die Brücke im übel beleumdeten MacArthur Park in Downtown Los Angeles handeln soll. Wer übrigens regelmäßig auf Partys an der Akustikgitarre brilliert, sollte Under The Bridge lernen und mal die Strophe von Green Days When I Came Around darüber singen. Die passt nämlich auch – zwei Songs in einem, sehr praktisch.
Die restlichen sechs Stücke der Platte bieten dann mehr vom gleichen Stoff. Interessant ist zumindest das lyrische Konzept hinter The Greeting Song, für den Rubin einen Text ausschließlich über Autos und Mädels fordert. Was für Mötley Crüe ein normales Tageswerk darstellt, findet bei Kiedis jedoch überhaupt keinen Anklang. Den Abschluss bildet They‘re Red Hot, ein von Blues-Urvater Robert Johnson adaptierter Ragtime, den die Band morgens um zwei auf einem Hügel in der Nähe des Studios aufnimmt.
Probleme auf Tour
Nach Veröffentlichung geht es natürlich auf die Straße: Die Blood Sugar Sex Magik-Tour zieht äußerst erfolgreich durch volle Hallen und sorgt durch die Wahl der Vorgruppen – Pearl Jam, The Smashing Pumpkins und Nirvana – für Sternstunden des Alternative Rock. Alle drei Support Acts sollten binnen Jahresfrist selbst zu Stars des Genres werden. Doch für John Frusciante ist das alles zu groß, zu erfolgreich, zu viel. Der exzentrische Gitarrist verärgert seinen Sänger, weil er während eines TV-Auftritts bei Saturday Night Live – angeblich – absichtlich schief spielt und singt. Am 7. Mai 1992 schmeißt Frusciante nach einer Show im japanischen Saitama dann endgültig hin.
„Wir haben die ganzen Achtziger damit verbracht, irgendwie ein paar Platten zu verkaufen“, erinnert sich Kiedis später. „Sobald John dabei war, hat das auch geklappt, aber er hat das anders wahrgenommen als der Rest. Wir waren dicke Freunde, aber letztlich endete das alles im Streit wie bei einem Liebespaar. John stand damals vor einer sehr düsteren und verdrogten Phase seines Lebens, und das kann keiner aufhalten. Wenn die Seele das verlangt, passiert es.“ Während Frusciante für sechs Jahre von der Bildfläche verschwindet und droht, ein weiteres Heroinopfer zu werden, macht die Band kurzzeitig mit dem Gitarristen Arik Marshall weiter, engagiert aber schon im September 1993 Dave Navarro von Jane‘s Addiction. Erst Ende der Neunziger stößt Frusciante wieder zur Band und bleibt nochmal zehn Jahre. Californication (1999) und weitere Bestseller etablieren die Chili Peppers als eine der größten Rockbands der Welt mit 80 Millionen verkauften Alben weltweit. Die ehemalige kalifornische Chaotentruppe gewinnt sogar sieben Grammys und wird 2012 in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. Den Grundstein für diesen Siegeszug haben sie mit Blood Sugar Sex Magik gelegt.
Zeitsprung: Am 10.8.1984 veröffentlichen die Red Hot Chili Peppers ihr Debüt.
Popkultur
Zeitsprung: Am 23.9.1930 wird der Hohepriester des Soul geboren: Ray Charles.
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Am 23. September 1930 erblickt Raymond Charles Robinson das Licht der Welt, bis es für ihn im Alter von sieben Jahren durch eine Glaukom-Erkrankung für immer erlischt. Seine Mutter hält ihn zur Unabhängigkeit an, denn als blinder Schwarzer Mensch ist man im Amerika der Dreißiger Jahre verloren. Ray verinnerlicht die Worte seiner Mutter. Der Multiinstrumentalist wird zum Hohepriester des Soul und sein musikalischer Einfluss prägend für Blues, Country und Soul-Musik. Blicken wir auf sein beeindruckendes Leben zurück.
Hört euch hier Ray Charles’ Greatest Hits an:
Als Raymond Charles Robinson im September 1930 in Albany, Georgia auf die Welt kommt, ist der Staat von der Rassentrennung zerfurcht. Die Schwarze Bevölkerung hat wenig Rechte und lebt in meist sehr ärmlichen Verhältnissen. Ray und seine Mutter Aretha ziehen bald nach Greenville in Florida, dort wächst er dann zusammen mit seinem jüngeren Bruder George auf.
Das Schicksal schlägt zu
Mit Rays fünftem Lebensjahr legt sich ein Schatten über sein Leben, der bald zu tiefster Dunkelheit wird. Durch ein angeborenes Glaukom, auch Grüner Star genannt, beginnt er, sein Augenlicht zu verlieren. Im selben Jahr muss Ray hilflos mit ansehen, wie sein jüngerer Bruder George ertrinkt. Trotz der Armut und herben Schicksalsschlägen drängt seine Mutter ihn zur Selbstständigkeit, denn ihr ist sehr wohl bewusst, dass man schwarz, blind und hilflos in diesem Land kaum eine Chance hat. „Lass dich durch nichts und niemandem zu einem Krüppel machen“, impft sie ihm immer wieder ein. Mit sieben Jahren ist Ray Charles vollständig erblindet.
Die Musik gibt dem jungen Ray Charles Halt. Beim Singen von Gospels in der Kirche fühlt er sich sicher. An einem alten Klavier im Red Wing Café eröffnet ihm der Besitzer, der alte Wylie Pitman, eine neue Welt. Ray lernt schnell, selbst zu spielen. „Klavierspielen kann man lernen, aber nicht das Gefühl dafür. Das ist da oder nicht. Ich glaube, dass ich damit geboren wurde“, erzählt er Jahrzehnte später. Eine umfassende musikalische Ausbildung wird ihm an der St.-Augustine-Schule für Gehörlose und Blinde zuteil. Ray lernt, Musik zu lesen und Frederic Chopin, Ludwig van Beethoven und Johann Strauss zu spielen. Er besucht die Schule bis zum Tod seiner Mutter. Ihr Tod bringt Ray seelisch ins Wanken.
Der eigene Stil
Als er fünfzehn Jahre alt ist, verlässt der Junge die Schule. Er will professioneller Musiker werden. Zuerst macht er sich im nahegelegenen Jacksonville einen Namen, dann in Orlando, Florida. Ray gilt als ein vielseitiger Arrangeur, Pianist und Saxofonist, der neben Blues, Jazz, Boogie-Woogie und Swing auch Hillbilly drauf hat. Charles imitiert den sanften Gesang von Größen wie Nat King Cole und Charles Brown. Einen eigenen Gesangsstil entwickelt er erst über ein Jahrzehnt später.
1947 zieht Ray Charles nach Seattle, er verspricht sich bessere Karrierechancen an der Westküste. In der neuen Heimat beginnt Raymond Charles Robinson an seiner Show Business-Persönlichkeit zu feilen. Um nicht mit dem Boxer „Sugar“ Ray Robinson verwechselt zu werden, nennt er sich fortan nur Ray Charles und beginnt, stets eine schwarze Sonnenbrille zu tragen, die zu seinem Markenzeichen wird. Außerdem und viel wichtiger: Als Mitglied des Maxin Trios nimmt er seine erste Schallplatte auf. Die Single Confession Blues erreicht 1949 Platz zwei der Rhythm & Blues-Hitparade. Im selben Jahr ändert die Band ihren Namen in Ray Charles Trio und mausert sich ein Jahr später zum Ray Charles Orchestra.
Der Durchbruch
1952 erhält der aufstrebende Musiker einen Vertrag bei Atlantic Records, dem bis dato größten Rhythm & Blues-Label. Mit seiner Band findet er nun auch seinen eigenen Stil. Er wird zum Prediger der Lebenslust, auf die Melodie eines alten Gospelsongs schreibt er I’ve Got A Woman – ein Lied über die Liebe. Das kommt bei vielen schwarzen Gläubigen nicht besonders gut an, man wirft ihm sogar Gotteslästerung vor. Doch Ray Charles hat damit Erfolg, sogar die Weißen finden seine Musik gut, und das ist damals eine Seltenheit.
Ray Charles Welthit „What’d I Say“
Mit What’d I Say landet er einen Welthit, Klassiker wie Hit The Road, Jack und I Can’t Stop Loving folgen. Ab 1955 beginnt Charles im Stile der Gospelgruppen mit weiblichen Backgroundstimmen zu experimentieren und ergänzt seine Truppe um einen Frauenchor: die Raeletts. Der eigene Stil ist gefunden: eine schroffe Stimme, ein ausdrucksstarkes Piano, hervorragende musikalische Begleitung und Frauengesang im Hintergrund.
Prediger der Lebenslust
Das Ekstatische seiner Auftritte spiegelt sich in Rays Privatleben wieder: Den vielen Frauen kann er einfach nicht widerstehen. Zwar ist Ray verheiratet und hat drei Kinder, doch mit all den Geliebten setzt er mindestens neun uneheliche Kinder in die Welt. Man kann sagen, Ray Charles genießt das Leben in vollen Zügen und ist auch Alkohol und Marihuana nicht abgeneigt. In den Fünfzigern gerät er jedoch an härteren Stoff. Heroin wird ihm zum Verhängnis und führt in den kommenden zwanzig Jahren auch mehrfach zu Verhaftungen. Ab 1970 lebt er clean.
Ray Charles wird als erster Kulturschaffender in die Georgia Music Hall Of Fame (1979) aufgenommen. Außerdem ehren ihn die Blues Hall Of Fame und die Rock And Roll Hall Of Fame geehrt. Seine musikalischen Einflüsse sind stilprägend für die Entwicklung von Rhythm And Blues, Blues, Country und Soul.
1980 setzt der Weltstar seinem Ruhm noch einen drauf: Mit seiner Rolle im legendären Film Blues Brothers erreicht er im Jahre 1980 eine neue und junge Generation von Fans. 2004 stirbt Ray Charles in Beverly Hills. Niemand Geringeres als Frank Sinatra erweist ihm die letzte Ehre.
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Popkultur
„Tage wie diese“ von den Toten Hosen: Als sich Angela Merkel bei Campino entschuldigte
Im Jahr 2011 passiert den Toten Hosen etwas, wovor sich jeder Musiker fürchtet: Sie möchten ein neues Album schreiben — und ihnen fällt absolut nichts ein. Doch aus der Kreativlosigkeit der Düsseldorfer entsteht unter anderem ihr größter Hit: Tage wie diese. Das ist die Geschichte der Nummer. Eine Telefonat mit Angela Merkel ist auch dabei.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Scheiss Wessis von den Toten Hosen anhören:
Im Demostadium heißt der Song noch Kreise drehen. Am Text kann man es ablesen: „Wir lassen uns treiben, tauchen unter, schwimmen mit dem Strom / Drehen unsere Kreise, kommen nicht mehr runter, sind schwerelos“. Hosen-Gitarrist Kuddel nimmt das Stück im Jahr 2010 zuhause auf und lässt sich dafür von Black Betty inspirieren, einem Worksong des 20. Jahrhunderts — allerdings in der Version der Siebziger-Rockband Ram Jam. Begeistert ruft er Sänger Campino an, der Kreise drehen ebenfalls mag. Doch gleich am nächsten Tag klingelt Kuddel noch einmal durch. Sein Sohn Tim findet das Lied nicht gut. Auch bei Tochter Chelsea springt der Funke nicht über. Enttäuscht legen die Hosen das Stück beiseite. Doch im Sommer 2011 geht Campino mit einer alten Freundin schwimmen — und ihr kommen die zündenden Ideen.
Campino und Birgit Minichmayr: eine alte Freundschaft ebnet den Weg zum größten Hit
Bereits im Jahr 2006 hatten Campino und Birgit Minichmayr gemeinsam auf der Bühne des Berliner Admiralspalastes gestanden. Der Anlass: Rainer Maria Brandauers Inszenierung von Bertold Brechts Dreigroschenoper, in der Campino den Mackie Messer gegeben hatte und Minichmayr dessen Partnerin Polly. Seitdem sind die beiden in gutem Kontakt geblieben und nun, da die Hosen mit dem Songwriting für das Album zu ihrem 30. Jubiläum im Morast feststecken, ruft Campino seine Kollegin Minichmayr zur Hilfe. Er bittet sie darum, sich das neue Material einmal anzuhören. Zügig treffen sich die beiden in Österreich. Campino bringt eine CD mit den neuen Ideen mit. Kreise drehen möchte er Minichmayr eigentlich gar nicht vorspielen, doch als sie den Song hört, lobt sie ihn. Das sei das bisher beste Stück und man müsse nur noch ein wenig am Text schrauben. So passiert es dann auch.
Als Campino und Minichmayr fertig sind, heißt das Stück Tage wie diese. Minichmayr hat das Potenzial des Songs erkannt, den die Hosen beinahe aussortiert hätten. Nach der Veröffentlichung wird das Stück schnell zum Selbstläufer. Platz eins in den Single-Charts, drei Wochen lang die Pole Position in den Airplay-Charts, „Hit des Jahres“ bei der Echo-Verleihung 2012, Deutscher Musikautorenpreis 2013: Tage wie diese schlägt unerwartet heftig ein. Es soll der bekannteste Song der Toten Hosen werden. Was diesmal anders ist? Vielleicht zum allerersten Mal sei es egal, ob das Lied von den Hosen komme oder nicht, mutmaßt Campino in einem Interview. Bisher hätten viele Fans die Songs der Band gemocht, weil sie Anhänger der Hosen seien. An Tage wie diese fänden auch Nicht-Hosen-Fans Gefallen — obwohl der Song von den Hosen komme. Es sei ein großes Glück, nach 30 Jahren Bandgeschichte noch solch einen Hit zu landen, findet er. Er wisse nicht, ob die Hosen in jungen Jahren mit so viel Erfolg zurechtgekommen wären.
Tage wie diese: ein Song begeistert Deutschland
Die Beliebtheit des Songs bekommen die Hosen gleich in mehrfacher Hinsicht zu spüren. Zum einen klingelt die Kasse; zum anderen kommt es zu mehreren Coverversionen. Eine der neuesten (von 2023) stammt von der US-amerikanischen Sängerin Anastacia.
Schon vor Jahren hatte Campino den Text des Songs ins Englische übersetzt. Best Days heißt die US-Variante und sie ist auf Anastacias Album „Our Songs“ zu finden. Auch Schlager-Megastar Helen Fischer singt Tage wie diese im Rahmen ihrer Sommertour 2013. Eine Veröffentlichung ihrer Version auf CD unterbinden Campino und Co. allerdings. Eigentlich hatten sie ja auch der CDU verboten, den Song zu nutzen …
Beste Feinde: Die Toten Hosen und die CDU
Nach 40 Jahren Bandgeschichte haben sich die Toten Hosen einen Ruf erspielt. Als Krachmacher der Nation kennt man sie vor allem als Punk-Vertreter und Störenfriede, die sich auf und abseits der Bühne gerne gesellschaftskritisch äußern. Ein einziges Campino-Interview reicht, um zu wissen: CDU-Fan ist er nicht. Dennoch singt die Union am 22. September 2013 in ihrer Berliner Zentrale ausgerechnet den Hosen-Song Tage wie diese, um ihren Erfolg bei der jüngsten Bundestagswahl zu feiern. Kanzlerin Angela Merkel weiß zu jener Zeit noch nicht einmal, dass es sich um ein Lied der Toten Hosen handelt.
Es ist schon ein skurriles Bild: CDU-Fraktionschef Volker Kauder gibt mit einem Mikro in der Hand Tage wie diese von den Toten Hosen zum Besten; Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Armin Laschet wippen (mehr oder weniger) im Takt mit. Viele Deutsche dürften sich über diesen Auftritt im September 2013 gewundert haben, steht die CDU doch nicht unbedingt für die Werte, die Campino und Co. üblicherweise propagieren. Entsprechend verärgert ist die Band über die eigenwillige Nutzung ihres Songs. „Uns persönlich kam die Darbietung eher wie ein Autounfall vor“, schreiben die Düsseldorfer nach der CDU-Performance in einem Statement auf ihrer Facebook-Seite. „Nicht schön, aber man schaut trotzdem hin.“ Darüber hinaus sei das grausam vorgetragene Lied aber immer noch die beste Leistung, die die CDU in letzter Zeit hervorgebracht habe. Deutliche Worte.
Anruf von Angela — Als die Kanzlerin Sorry sagte
Die Verärgerung der Toten Hosen entgeht Angela Merkel nicht — weshalb sie ein paar Tage später zum Telefonhörer greift, um sich zu entschuldigen. „Lieber Herr Campino, ich rufe an, weil wir ja am Wahlabend so auf ihrem Lied herumgetrampelt sind“, sagt sie zu dem Sänger. Sie fände Tage wie diese sehr schön, doch Campino müsse sich keine Sorgen machen, dass der Song nun die nächste CDU-Hymne werde. Außerdem hätten die Hosen die Nutzung des Liedes zwar für Wahlkampfveranstaltung untersagt, doch Siegesfeiern seien ja kein Wahlkampf. Am Ende bleibt sie eben doch Politikerin.
Diese Geschichte ist eine von vielen aus dem Buch Die Toten Hosen – über 40 Jahre Punkrock: Von Pionieren des Punks zur Kultband von Timon Menge. Die Anekdotensammlung erscheint am 24. Oktober 2023 im Riva Verlag.
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