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Popkultur

Die musikalische DNA von Blondie

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Manche Fehler können Karrieren zerstören, andere legen erst den Grundstein für welche. Als eine kleine New Yorker Band im Jahr 1976 mit ihrer ersten LP debütierte, fand sie über die Grenzen der eigenen Szene hinaus kaum Zuspruch. Mehr noch weigerten sich viele Radiostationen, ihre Single X-Offender zu spielen. Der Song hieß nämlich ursprünglich “Sex Offender” und die Lyrics waren der prüden Medienwelt der siebziger Jahre zu anrüchig. In Australien aber lief die Platte bei der TV-Show Countdown – fälschlicherweise aber wurde die B-Seite abgespielt, In the Flesh. Die kam dagegen sehr gut an und ermutigte die Band, ihr altes Label fallenzulassen und bei einem neuen anzuheuern, ihr erstes Album neu aufzulegen und der Rest… Ja, der Rest ist Geschichte. Wäre dem Produktionsteam von Countdown nicht dieser Schnitzer unterlaufen, wer weiß, ob wir sonst jemals wieder von Blondie gehört hätten.


Hört hier in die musikalische DNA von Blondie rein:

Für die ganze Playlist klickt auf „Listen“.


Dass Blondie von Anfang an allerdings ebenso aneckten wie sie ein breites Publikum mit der süßlichen Power-Ballade In the Flesh für sich begeistern konnten, sagt bereits alles. Wo andere Bands an ihren Widersprüchen und Kontrasten zerbrachen, bezog die Band um Debbie Harry und Chris Stein genau daraus ihre Energie. Punk und New Wave trafen auf astreinen Pop und glamouröse Disco-Klänge, mit Rapture wagte sich die Gruppe sogar als eine der ersten Rock-Kombos überhaupt an die Hip Hop-Kultur heran. Blondie stehen somit beispielhaft für das, was früher als „cooles Wissen“ bezeichnet wurden: Sie wussten, wo der heiße Scheiß abging und wie er zu klingen hatte, bauten ihn selbst in ihre ganz eigene, eigensinnige Musik ein und schufen etwas Einzigartiges, nie vorher Dagewesenes. Das gilt natürlich auch heute noch, über zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung der zwischen 1982 und 1997 aufgelösten Gruppe.

Und wie klingt das coole Wissen von Blondie nun genau? Das verrät uns ein Blick auf die musikalische DNA der Band um Debbie Harry, die farbenfroher ist als alles, was heute so im Radio zu hören ist. Denn Blondie waren ihrer Zeit nicht allein um ein paar Jahre, sondern gleich Jahrzehnte voraus.


1. Rhys Chatham – A Crimson Grail Part 2

Die siebziger Jahre in New York waren hart. Die Verbrechensraten gingen durch die Decken, die Märkte stagnierten. Armut machte sich breit und damit das Elend. Aber wo eine Krise ist, da wartet auch eine Chance. So faulig der Big Apple roch, so viele Menschen lockte er doch genau deswegen an. Wohnraum war günstig, die Obrigkeit lax und gegen die Tristesse des Alltags regte sich vor allem kreativer Widerstand. Ob die ersten Hip Hop-Block-Partys, die aufblühende Disco-Szene oder die Punk-Community: Hier ging etwas ab! In der Küche des Mercer Arts Center trat sich zwischen den Jahren 1971 und 1973 die Avantgarde der Stadt auf die Füße. Neben den dort stattfindenden Videoinstallationen war The Kitchen auch ein Austauschort für die Musikszene.

Verantwortlich für die Programmierung war der La Monte Young-Schüler Rhys Chatham, der sich gleichermaßen für Minimal Music, elektronische Kompositionen und später Punk interessierte, was Werke wie A Crimson Grail beweisen – eingespielt wurde es in seiner ursprünglichen Form von einem Orchester mit 400 Gitarren. Dank Chathams feinsinniger Kuration war auch Chris Stein völlig begeistert von der örtlichen Szene und wollte mitmischen. Zuerst heuerte er bei den Stilettoes an, wo Debbie Harry am Mikro stand, bevor sie gemeinsam mit Billy O‘Connor und Fred Smith eine neue Band gründeten.


2. Television – Marquee Moon

Wie diese Band hieß? Zuerst Angel and the Snake! Dann aber Blondie in Anspielung auf die Zurufe, die sich Harry – ein ehemaliges Model – auf den Straßen der Stadt gefallen lassen mussten. Aus dem erniedrigenden Sprüchlein wurde so eine Kampfansage an die Macker dieser Welt. 1975 formierte sich die Band neu und fing an, erste Gigs in den wichtigsten Clubs von New York zu spielen, wo sie gleichgesinnte Menschen und Bands vorfanden, deren Attitüde deutlich in ihrer Musik reflektiert wurde. Neben dem Max‘s Kansas City war das 1973 eröffnete CBGB der wichtigste Anlaufpunkt der Stadt. Patti Smith oder die Talking Heads begannen hier ihre Karrieren und die US-amerikanische Version des Punk-Sounds entwickelte sich ein paar Meter neben der berüchtigten CBGB-Toilette in Echtzeit voran.

Nachdem er Blondie im Frühjahr 1975 verließ machte eben jener Fred Smith, der zur Ursprungsformation der Band gehörte, mit einer anderen Truppe aus dem CBGB-Umfeld Karriere. Television legten 1977 mit Marquee Moon ein Album vor, das den Punk-Sound der Stunde schon wieder auflöste, mit konventionellen Harmonien aus dem Rock spielte und sogar Jazz-Elemente in sich aufnahm. Es sollte eine bahnbrechende, einflussreiche Platte werden, die ein Michael Stipe von R.E.M. bis heute neben Patti Smiths Horses zu einer der zwei besten LPs aller Zeiten zählt. Als sie damit auf Tour nach England gingen, nahmen sie Blondie gleich mit. Die beiden Gruppen verstanden sich aber wohl nicht sonderlich, wenn wir den Erzählungen Glauben schenken dürfen…


3. Ramones – Pet Semetary

Television gehörten eben zu den Exzentrikern, die ein Club wie das CBGB zwangsläufig hervorbringt. Und eigentlich lassen sich Blondie ähnlich kategorisieren. Ihre Musik war von Punk geprägt, spielte aber schon auf der Debüt-LP mit vielen anderen Elementen und begeisterte damit die Kritik, wenngleich die Verkäufe anfangs schleppend liefen. Mit den Punks kamen sie dennoch gut zurecht – sehr gut sogar. Als Tommy Ramone im Jahr 2014 starb, erinnerte sich Stein daran, die Band des Drummers von Anfang an geliebt zu haben. „Ich traf ihn früh“, erinnerte er sich. „Mit seiner Band Butch spielte er im Mercer Art Center, bevor es buchstäblich zusammenfiel.“

Als die beiden sich das nächste Mal über den Weg liefen, erzählte Tommy von seiner neuen Band. „Ich war vermutlich bei ihrer ersten Show im CBGB und erinnere mich noch genau daran, wie fantastisch sie trotz ihrer Unerfahrenheit waren“, so Stein. Noch 1990, als Harry und Stein lange nach der Auflösung von Blondie für eine kurze Tour durchs Land zogen, taten sie das unter dem Titel „Escape from New York“ gemeinsam mit den hageren Ramones. Und Songs wie Pet Semetary gehörten immer auf die Setlist von Blondie oder Debbie Harrys Solo-Shows. Die Zeit im CBGB schweißte beide Gruppen für immer zusammen.


4. Iggy Pop – Ordinary Bummer (Live)

Zwischen 1982 und 1997 war bei Blondie der Ofen aus – so halb zumindest, denn Harry und Stein trugen das Erbe der Band ja weiter. Interne Spannungen hier, Steins Autoimmunerkrankung und das eine oder andere Rock-Star-Problemchen wie illegale Substanzen und finanzielle Fehlkalkulationen ließen die Gruppe erst ihre Europa-Tour 1982 absagen und dann im November ihre Auflösung bekannt geben. 1997 aber raufte sich die Band wieder zusammen, gab im Mai des Jahres ein Reunion-Konzert und ging später auf eine internationale Tour. Währenddessen veröffentlichten sie beinahe klammheimlich ein neues Stück Musik.

Oder besser: ein altes. Denn bei Ordinary Bummer handelte es sich um eine Iggy Pop-Nummer vom Album Zombie Birdhouse, das die Gruppe unter dem Pseudonym Adolph‘s Dog einspielte. Eine etwas pikante Anspielung, denn mit Adolph war Adolf Hitler gemeint – und dessen Schäferhündin hieß nochmal wie genau? Eben, Blondie. Das Cover war eine Hommage an Pop, der sie – damals mit David Bowie als Teil seiner eigenen Band – auf Tour eingeladen hatte. „Sie waren unsere absoluten Helden“, erinnerte sich Harry an das explosive Doppelpack in einem Interview nach Bowies Tod Anfang 2016.


5. Roxy Music – More than This

Die ungezügelte „raw power“ von Iggy Pop und das glamouröse Auftreten Bowies waren jeweils für sich legendär, gemeinsam aber entzündeten sich an diesem Kontrast die intensivsten musikalischen Feuerwerke. Blondie waren ganz ähnlich, sie lebten von den vermeintlichen Widersprüchen, die ihre Musik von Anfang an auszeichneten. Von Avantgarde bis Punk reichte ihr Einflussspektrum und natürlich stand auch exaltierter Art Rock und Glam auf dem Programm. Dass sie 2006 den Roxy Music-Song More than This coverten, versteht sich da fast wie von selbst. Denn auch Blondie waren immer schon „mehr als das“!

So nahe die Verbindung zwischen Roxy Music und Blondie aus heutiger Sicht auch liegen mag, wurden die Trennlinien früher noch schärfer gezogen. Drummer Clem Burke verriet, dass er bereits zu Jugendzeiten mit seiner Passion für Roxy Music und andere auf taube Ohren stieß. „Ich war ein riesiger Fan von den New York Dolls und David Bowie, Roxy Music, Cockney Rebel, The Sweet und T.Rex. Meine Freunde aber mochten Zappa und Captain Beefheart, ihnen gefiel diese Musik gar nicht. Deshalb habe ich Leute gesucht, die ähnlich drauf waren wie ich.“ Er fand Blondie und damit ein paar sehr offene Menschen vor, die gutes Songwriting unabhängig von allen Genrebestimmungen zu wertschätzen wussten.


6. Randy and the Rainbows – Denise

Denn diese Band konnte auch mit ausgemachten Pop-Nummern etwas anfangen! Als Blondie 1978 ihr zweites Album Plastic Letters veröffentlichten, fand sich darauf eine etwas ungewöhnliche Cover-Version, die sogleich zur ersten Single ernannt wurde: Denise hieß der ursprünglich von Neil Levenson geschriebene Hit, der von Randy and the Rainbows bekannt gemacht wurde, einer Doo-Wop-Gruppe aus den frühen sechziger Jahren. Bei Blondie bekam die Nummer einen deutlichen Punk-Anstrich und klingt eher nach den Ramones als nach dem schmalzigen Original.

Wichtiger noch verdrehte Debbie Harry den Text leicht: Aus Denise wurde Denis, die männliche Form des Namens. Neben den improvisierten französischen Lyrics im Mittelteil gab die Gruppe dem Stück so eine ganz andere Bedeutung, indem sie die Sprecherrollen umkehrte und klar herausstellte, dass mit Harry eine Frau sprach. Was eigentlich nur logisch klingt, hatte Ende der siebziger Jahre – mit Frauenrechten war es noch nicht sonderlich weit her und dass eine Frau einer ganzen Band vorstand war keinesfalls üblich – eine noch größere Bedeutung. Der Erfolg gab der Gruppe aber recht: Mit Denis konnten Blondie ihren ersten internationalen Hit landen.


7. Kraftwerk – Metropolis

Sowieso waren die siebziger Jahre eine Zeit, in welcher neben den pompösen Rock-Operetten und den Exzessen der britischen Punk-Bewegung noch ganz andere Revolutionen stattfanden, wenngleich stiller und heimlicher. Mit der neu umgearbeiteten Version von Heart of Glass – eigentlich ein Reggae-inspiriertes Rock-Stück – toppten Blondie 1979 die Charts. Zwei Einflüsse waren dafür besonders wichtig: Einerseits (ausgerechnet) die Bee Gees mit dem unvergesslichen Stayin‘ Alive, deren Beat Burke auf der Aufnahme zu imitieren versuchte.

Andererseits öffneten sich Blondie spätestens mit Heart of Glass der neuen Technologie, die Ende der siebziger Jahre immer erschwinglicher wurde und ungeahnte Möglichkeiten bot. Jimmy Destri soll seine Truppe dazu gedrängt, mehr mit Synthesizern zu experimentieren und sie prominent in der neuen Version des Stücks einzubauen. Als große Vorlage diente eine deutsche Band, die Anfang der siebziger Jahre eine musikalische Revolution (und damit gleich die gesamte Zukunft) einläuteten. Stücke wie Metropolis vom Album Die Mensch-Maschine waren tanzbar und simpel, klangen aber verheißungsvoll und aufregend. Kein Wunder, dass sich auch Blondie dem Ruf der Zukunft nicht entziehen konnten.


8. Donna Summer – I Feel Love

Doch der stilistische Umschwung kam nicht bei allen gut an. „Die Ramones machten Bemerkungen über uns, dass wir Sell-Outs wären“, erinnerte sich Stein in einem Interview. „Im CBGB allerdings waren alle zufrieden und amüsiert darüber, dass wir einen Hit hatten. Und neidisch darauf, dass sie nicht dasselbe von sich behaupten konnten…“ Tja. Blondie polarisierten eben selbst dort, wo sie ihre Wurzeln hatten. Das ist mit Blick auf die Stimmung dieser Zeit wohl nur verständlich: Nicht nur von Kraftwerk, sondern auch von Disco war Heart of Glass beeinflusst – und Disco war damals der erklärte Feind. Wieso aber eigentlich? Wieso zum Beispiel trafen sich am 12. Juli 1979 bei der Disco Demolition Night im Chicagoer Chomiskey Park tausende Menschen, um ihre Disco-Platten zu verbrennen?

Einerseits wohl, weil für viele Disco mit tumben Konsum und egomanischer Selbstdarstellung gleichgestellt wurde. Andererseits wurde die Disco-Szene aus der LGBTQ-Szene heraus aufgebaut und das überwiegend von Menschen, die nicht weiß waren. Lange bevor die Bee Gees, Filme wie Saturday Night Life oder sogar ABBA auf den Zug aufsprangen, bot die Community denjenigen Zuflucht, die von der weißen Mehrheitsgesellschaft an den Rand gedrängt wurden. Tatsächlich also war Disco zumindest in seiner ursprünglichen Form mehr Punk als Punk selbst! Der Backlash gegen Disco war häufig homo- oder transphob bis offen rassistisch. Blondie aber zeigten, dass beide Subkulturen buchstäblich in Einklang zu bringen waren. Überrascht es da noch weiter, dass sie schon bald mit Giorgio Moroder zusammenarbeiteten, der mit Donna Summers I Feel Love das Subgenre Eurodisco aus der Taufe hob und damit nebenbei noch eine Schwulenhymne schuf, gesungen von einer Schwarzen?


9. Grandmaster Flash & The Furious Five – The Message

Es ist mit Blick auf die vielseitigen Einflüsse, die sich in Blondies Werk auftun, ganz eindeutig, dass diese Band das Miteinander dem Gegeneinander stets vorzog. Damit spiegelten sie von Anfang an wider, was New York zu einer der schönsten Städte dieser Welt macht, einem echten „melting pot“ der (Sub-)Kulturen. Neben Disco und Reggae (wir denken an The Tide Is High) war Hip Hop das jüngste Genre, das die Five Boroughs während Blondies Frühphase rasant eroberte – auch dank weißen Acts wie Blondie, die den Sound der schwarzen Viertel der Stadt mit ihrem Track Rapture aufnahmen.

Hip Hop wurde in ärmlichen Verhältnissen erfunden und spiegelte diese auch in seinen Texten wieder. Ein fundamentaler früher Rap-Track ist The Message von Grandmaster Flash & The Furious Five, der ungeschönt aus dem Leben im Ghetto erzählt. Neben Grandmaster Flash („Flash is fast, Flash is cool“) wird in Rapture auch Fab 5 Freddy, ein anderer Pionier des Hip Hops erwähnt. Er brachte Debbie und ihre Band zu den Block Partys der Bronx, wo sie ihre ersten Rap-Performances erleben durften. Eine Erfahrung, die sie mit der Welt teilen wollten, indem sie ein breites Publikum an Rap heranführten. „Für den Großteil des weißen Mainstreams war es das erste Mal, dass sie Rap zu hören bekamen und auf eine Art ebnete das sozusagen den Weg für das, was danach kam“, so Fab 5 Freddy selbst über Rapture.


10. No Doubt – Just a Girl

Mit ihrem furchtlosen Auftreten, ihrer einzigartigen Neugier für das Treiben weit abseits des Tellerrandes und nicht zuletzt ihrem fantastischen Songwriting waren Blondie ohne Frage stilprägend. Harry, Stein und ihre verschiedenen Mitstreiter haben ganze Generationen geprägt. Vor allem natürlich Harry, die als Frontfrau der Band für viele Künstlerinnen zum Vorbild wurde. Während sie noch weitgehend auf verlorenem Posten stand, wurden Frauen ab Ende der achtziger Jahre in der – nach wie vor – männerdominierten Rock-Welt immer sichtbarer und lauter. Zwei Bands waren es vor allem, die sich mit ihrem Schaffen auf Blondie bezogen. Zum einen waren da Garbage, deren Sängern Shirley Manson die Band im Jahr 2006 sogar in die Rock and Roll Hall of Fame einführen durfte.

Auch No Doubt und vor allem deren Sängerin Gwen Stefani berifen sich immer wieder explizit auf Blondie. Die Liste der Cover-Versionen ist lang, am bekanntesten sind ihre Interpretationen von One Way or Another und Call Me. Nicht wenige sahen in der Band zu ihren Anfangszeiten die Ablösung für die 1982 aufgelösten Blondie. Selbst Harry hatte immer nur lobende Worte für Stefani und ihre Truppe über. „Ich liebe Gwen. Ich verehre Gwen!“, rief sie in einem Interview. Warum auch nicht? Mit Songs wie Just a Girl wandte sich Stefani ebenso so selbstbewusst gegen Machos wie Blondie es einst taten – und zum Glück immer noch tun. Denn niemand löst so einfach Blondie ab!


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Vor 55 Jahren feierten Simon & Garfunkel mit „Mrs. Robinson“ eine Nummer eins

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Foto: Hulton Archive/Getty Images

Am 1. Juni 1968 landeten Simon and Garfunkel mit Mrs. Robinson auf Platz 1 der US-amerikanischen Billboard Hot 100 Charts — und blieben dort drei Wochen lang. Wir werfen einen Blick auf die Entstehung des Songs.

von Markus Brandstetter

Es ist einer der größten Songs der Popgeschichte — und entstand zu einem guten Teil sozusagen aus Verlegenheit. Geschrieben hatte Paul Simon den Song eigens für den 1967 erschienenen Film The Graduate. Ganz einfach war die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Mike Nichols nicht — dieser hatte nämlich zwei andere Songvorschläge abgelehnt.

Zähe Soundtrack-Zusammenarbeit

Simon hatte ihm zwei Stücke namens Punky’s Dilemma und Overs vorgespielt, so richtig enthusiastisch stimmen Nichols die Songs allerdings nicht. Der Sänger und Songschreiber hatte noch etwas in der Tasche: einen Entwurf eines Stücks namens Mrs. Roosevelt (so der Arbeitstitel des Stücks, der sich ursprünglich auf die Politaktivisten und Ehefrau des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, Eleanor Roosevelt bezog. Dass der Song dann auf Mrs. Robinson umgetauft wurde, macht Sinn — schließlich heißt so der weibliche Hauptcharakter des Films. Die Geschichten, wie es dazu kam, variieren indes ein wenig.

„Paul hatte an dem Song gearbeitet, der jetzt Mrs. Robinson heißt, aber es gab keinen Namen darin und wir füllten ihn einfach mit irgendeinem dreisilbigen Namen. Und wegen des Charakters in dem Film fingen wir einfach an, den Namen Mrs. Robinson zu verwenden, weil er passte […]“, erinnerte sich Art Garfunkel einmal. Eines Tages saßen wir mit Mike zusammen und sprachen über Ideen für einen weiteren Song. Und ich sagte: Wie wäre es mit Mrs. Robinson? Mike schoss auf die Beine. Ihr habt einen Song, der Mrs. Robinson heißt, und ihr habt ihn mir noch nicht einmal gezeigt? Also erklärten wir ihm den Arbeitstitel und sangen ihn ihm vor. Und dann hat Mike ihn für den Film als ‘Mrs. Robinson’ verewigt.“

Paul Simon: „Ich wusste nicht einmal, was ich spielte“

Paul Simon, der am Anfang von der Auftragsarbeit nicht wirklich begeistert war, erinnert sich folgendermaßen: „Mike Nichols rief an und fragte uns. Er sagte, er habe ein Buch und wolle einen Film mit dem Titel The Graduate drehen… Er überzeugte uns, die Musik zu machen. Die Musik sollte größtenteils Originalmusik sein, aber es kam vor, dass wir, um eine Szene zu füllen, ein Musikstück nahmen und es dort einsetzten, nur um zu hören, wie die Musik klingen würde.“ Die Entstehung des Songs sei sehr spontan und intuitiv gewesen, erzählt er: „Mrs. Robinson wurde an Ort und Stelle erfunden”, fährt er fort. “Ursprünglich sollte das eine Verfolgungsszene sein, und sie wollten Gitarrenmusik. Ich spielte… Ich wusste nicht einmal, was ich spielte, ich riffte einfach auf der Gitarre.” Auf dem Soundtrack des Films finden sich zwei Kurzversionen des Stücks. Die volle Version — die sich in einigen Dingen unterscheidet, gab es erst im Jahr darauf zu hören: da veröffentlichten Simon & Garfunkel ihr Album Bookends.

„Das von Harmonien getriebene Lied des schwülen Vorstadtvergnügens“

Textlich ist der Song ganz auf die Filmfigur Mrs. Robinson zugeschnitten, die eine komplexe Beziehung mit einem jungen Mann eingeht. Oder wie es das Magazin American Songwriter beschreibt: „Der berüchtigte Song Mrs. Robinson von Simon & Garfunkel ist die inoffizielle Hymne einer außerehelichen Affäre. Es ist die inoffizielle Hymne der älteren Frau. Es ist das von Harmonien getriebene Lied des schwülen Vorstadtvergnügens.“

Joe DiMaggio: „Ich bin nirgendwo hingegangen!“

Einer soll übrigens über den Text — genauer gesagt die legendäre Zeile „Where have you gone, Joe DiMaggio“ — nicht begeistert gewesen sein: nämlich die Baseball-Legende Joe DiMaggio selbst. Simon berichtet, ihn in einem Restaurant getroffen zu haben. Das Gespräch sei so verlaufen: „Ich war zufällig in einem Restaurant und da war er. Ich nahm meinen Mut zusammen und ging hin, um mich vorzustellen und zu sagen: ‚Hi, ich bin der Typ, der “Mrs. Robinson” geschrieben hat’, und er sagte: ‚Ja, setzen Sie sich… warum sagen Sie das? Ich bin hier, jeder weiß, dass ich hier bin.æ Ich sagte:‚’So habe ich es nicht gemeint – ich meine, wo sind diese großen Helden jetzt?’ Er war geschmeichelt, als er verstand, dass es schmeichelhaft gemeint war.”

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Popkultur

Zeitsprung: Am 1.6.1975 beginnt Ron Wood seine erste Tour als Gitarrist der Rolling Stones.

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Rolling Stones
Foto: Ronnie, Mick und Keith im Sommer 1975 in Texas. Foto: Fin Costello/Redferns/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.6.1975.

von Christian Böhm und Christof Leim

Manchmal regelt das Universum die Dinge. So mag es sich zumindest für Ron Wood anfühlen, als er am 1. Juni 1975 die Bühne betritt. Es ist der Beginn der USA-Tour der Rolling Stones zum gerade erschienenen Album It’s Only Rock’n’Roll – und Ron Woods erste Tour als ihr neuer Gitarrist. Sein Einstieg bei der wahrscheinlich größten Rock-Band der Welt stellt sicherlich einen Meilenstein seiner Karriere dar, die bis dato schon beachtlich lief. Und Ron Wood, der davor bei den Birds, der Jeff Beck Band und bei den Faces gespielt hatte, bleibt bis heute Mitglied der Rolling Stones.

Hier könnt ihr euch das damals aktuelle Album It’s Only Rock’n’Roll anhören:

Für einen Kollegen geht mit diesem Anfang natürlich etwas zu Ende – und im Nachhinein sagt Woods Vorgänger bei den Stones, Mick Taylor, dass ihm schon immer irgendwie klar war, dass er in dieser Band nicht ewig spielen würde. Auch für Ron Wood endet gerade etwas, als Mick Jagger anruft und ihm den Job des Tourgitarristen anbietet: Die Faces sind im Begriff, sich aufzulösen, als das Telefon klingelt und für Ron etwas Neues beginnt. Man sagt ja, dass neue Türen sich genau dann öffnen, wenn man die alten schließt.

Touren sind nie langweilig

It’s Only Rock’n’Roll heißt die Tour, und der Titel trifft es wohl ziemlich genau: Vor Beginn fährt die Band Brown Sugar spielend auf einem LKW über die New Yorker 5th Avenue. Ein gelungener Promo-Gag! Nicht ganz so gelungen und auch nicht unbedingt lustig verläuft dann eine Fahrt durch Arkansas. Im Örtchen Fordyce droht die Sause vorzeitig zu enden, als die dortige Polizei die Band stoppt und zumindest einen Teil der nicht gerade wenigen Drogen in ihrem Wagen findet. Ihr Anwalt boxt die Rocker aus der Situation heraus, und so zieht der Tross weiter durch den sogenannten „Bible Belt“, den extrem christlichen Teil der USA. Wem nicht klar ist, wie die Gepflogenheiten in diesem Landstrich so aussehen, dem sei gesagt, das in Arkansas einmal versucht wurde, Rock’n’Roll per Gesetz zu verbieten.

Darüber lacht Keith Richards nicht schlecht in seiner in seiner Autobiografie Life, welche übrigens mit der oben beschriebenen Geschichte beginnt.

Ron (oder auch Ronnie, wie manche ihn nennen) Wood kannte seine neuen Mitstreiter schon vorher: Am Titelsong des Albums It’s Only Rock’n’Roll ist der Gitarrist kompositorisch beteiligt. Jagger und Richards wiederum hatten ihm zuvor bei seinem Soloalbum I’ve Got My Own Album To Do (1974) ausgeholfen. Als er die Platte 1974 schreibt, gehört Ron Wood auch zu den Faces und gibt dort mit Rod Steward ein ähnliches Duo ab wie Mick Jagger mit Keith Richards bei den Stones.

Man kennt sich, man versteht sich

Auf selbiger verstehen Keith und Ron sich fast blind. Schmunzelnd sagt Richards im Interview mit Gitarre & Bass: „Wenn ich mitbekomme, dass er sich irgendwohin bewegt, ziehe ich mich zurück und tauche unter ihm ab. Und wenn er hört, dass ich abhebe, macht er dasselbe. Es ist eben genau wie beim Weben, mit den verschiedenen Fäden – und wir sind die dienstälteste Manufaktur auf Erden. Alt und rostig. Aber hey – es funktioniert.“ Die Chemie zwischen den beiden stimmt also. Seine eigenen Songs aber kann Ronnie bei den Stones eher selten unterbringen. Die meisten Songs kommen dann eben doch von… na, von den beiden anderen eben.

„Ich wäre schon froh, wenn sie meine Stücke überhaupt mal ernsthaft anhören würden, sie könnten ja sagen: „Vergiss es, das Zeugs ist Mist.“ Aber sie könnten meinen Stücken wenigstens eine Chance geben“, sagt Wood dazu. Klingt nicht gerade nach Friede-Freude-Eierkuchen, aber so läuft das Rock’n’Roll-Geschäft ja auch nicht immer. Man sagt, Ron sei nicht immer nur Gitarrist gewesen, sondern musste auch öfter den Streitschlichter geben, wenn die beiden guten Freunde Keith und Mick sich mal wieder in den Haaren hatten.

Nicht ungefährlich

Apropos Rock’n’Roll: Für Präsident Richard Nixon waren die Stones nicht die größte, sondern „die gefährlichste Rock’n’Roll-Band der Welt“, was er dem Anwalt der Band offiziell mitteilen ließ. Ganz ungefährlich lief auch Ron Woods Leben nicht: Mehrmals unterzieht er sich Entziehungskuren, um seiner Alkoholsucht zu entkommen, und auch bezüglich anderer Substanzen galt er nicht als Kind von Traurigkeit. Bis zu acht Pints Guinness (und das sind immerhin über vier Liter Bier!) an einem Tag sollen keine Seltenheit gewesen sein – und obendrauf kamen mehrere Flaschen harter Schnaps. Nüchtern betrachtet war es Ron Wood vielleicht auch deshalb nicht möglich, die Leadgitarre der Band zu übernehmen, obwohl er das eigentlich tun sollte, denn Keith Richards gab seit jeher den Rhythmusgitarristen. Gern nennt man Keith das „Human Riff“, das menschliche Gitarrenriff, aber nun übernimmt er öfter die Leadgitarre. Auf der Bühne bedröhnt waren sie bisweilen beide.

Nochmal zurück zum Anfang der Geschichte: Mick Taylor, der den Platz für Ron Wood im Juni 1975 räumte, hatte die Qualitäten eines Rhythmusgitarristen. Noch weiter zurück findet man den anderen, vielleicht bekannteren Vorgänger Woods: Brian Jones. Auch dieser war bekannt für seinen ausschweifenden Alkohol- und Drogenkonsum. Während man Jones aber 1969 tot im Pool fand, hat Ron Wood seine Eskapaden überlebt.

Ein langer Weg

Vom langen Weg an die Spitze des Rock’n’Roll sang bekanntlich schon eine andere Rock-Größe vom unteren Ende der Welt. Vom Tour-Gitarristen avanciert Ronnie Wood zum festen Bandmitglied. Dann vergehen fast 20 Jahre als angestellter Musiker, bevor er 1993 auch Beteiligter am Unternehmen Rolling Stones wird. Später wird er sagen, dass ihm schon vor dem 1. Juni 1975 irgendwie klar war, dass er letztendlich bei den Stones landen würde. Er musste nur warten, bis das Universum das für ihn regelt.

Zeitsprung: Am 19.7.1989 rebelliert eine Kleinstadt gegen die Rolling Stones.

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Popkultur

„Speaking In Tongues“ wird 40: Die Talking Heads verbrüdern Art-Rock und Schwarzen Soul

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Foto: Paul Natkin/Getty Images

Die Talking Heads sind Ikonen der kunstvollen Popmusik. Ihr größter Erfolg landet vor genau 40 Jahren: Mit Speaking In Tongues gelingt David Byrne und Band der Durchbruch – auch dank Burning Down The House, das man in Europa aber eher wegen Tom Jones kennt.

von Björn Springorum

Die New Yorker Kunstszene der Siebziger ist ein Schmelztiegel radikaler Ideen und freakiger Gestalten. Nur hier kann Andy Warhols Factory entstehen, nur hier fließen Kunst, Pop und Punk so mühelos zusammen. Auch die Talking Heads gehen aus der Kunst-Bubble der Stadt hervor. David Byrne und Chris Frantz besuchen die Rhode Island School Of Design, gehen mit so ziemlich den gegensätzlichsten Ideen in die Bandgründung wie beispielsweise die Ramones. Kunstvoll soll es sein, avantgardistisch, vielschichtig, intelligent. Mit Kommilitonin Tina Weymouth ziehen sie nach New York City, teilen sich ein Loft. Bis dahin also eine ganz normale Studentengeschichte.

Basslernen mit Suzi Quatro

Fast: Weymouth bringt sich nämlich das Bassspielen mit alten Suzi-Quatro-Platten bei, geboren sind auch schon die Talking Heads. Und Apropos die Ramones: Ihren ersten Gig spielen sie ausgerechnet im Vorprogramm der Punk-Rocker aus Queens – am 5. Juni 1975. Danach geht es recht schnell: 1977 landen sie mit Psycho Killer einen riesigen Hit, Ende der Siebziger stecken sie vermehrt mit Frickelguru Brian Eno unter einer Decke. Ihr Ruf als Art-Rock-Band trägt sich in die Welt hinaus, scheinbar mühelos vermengen die Talking Heads Pop, Funk, Rock, Wave oder Afrobeat. Doch die Flamme brennt hell: Vier Alben in vier Jahren zollen ihren Tribut, die Band muss kürzer treten, macht erst mal Pause.

Die Band verfolgt eigene Projekte, trennt sich von Eno (der sich bekanntlich U2 zuwendet) und findet im Sommer 1982 wieder zusammen. Die Akkus sind voll, der Ideenkoffer prall gefüllt. Zwischen Juli 1982 und Februar 1983 entsteht in New York City, Philadelphia und den legendären Compass Point Studios auf den Bahamas Speaking In Tongues – das Album, das ihr kommerzieller Durchbruch werden soll. Denn aller Anerkennung und Reputation zum Trotz: So richtig Kohle gescheffelt wurde mit der anspruchsvollen Musik bisher noch nicht.

Ohne Brian Eno wird es kommerzieller

Nun kann man so etwas natürlich nie planen, doch ohne die Kopflastigkeit ihres Kollaborateurs Eno gelingt ihnen ein leichteres, zugänglicheres Album, das ihre kunstvolle Wave-Sensibilität mit Schwarzem Funk verbrüdert. Slippery People oder Swamp zeigen klare Gospel-Schlagseite, zudem ist da natürlich diese Vielfalt an Effekten, Synthie-Spielereien, seltsamen Arrangements und Sounds. Aber eben nie so viel um einen einfachen Hörgenuss zu schmälern. Ohne es genau zu wissen machen die Talking Heads ihren komplexen Sound offener, eingängiger. Kommerzieller. Die Talking Heads sind 1983 das Mittelstück zwischen Television und Michael Jackson.

Auch der Tiger brennt das Haus nieder

Liegt natürlich auch an Burning Down The House, den sie gleich als Opener auf Speaking In Tongues packen. Ihr einziger Top-Ten-Hit in den USA ist ein unwiderstehlicher Groover, der außerhalb von Nordamerika aber auf legendär wenig Interesse stößt. Da ist das Cover von Tom Jones und den Cardigans aus dem Jahr 1999 deutlich erfolgreicher: Halb Europa heißt die Interpretation in den Top Ten Willkommen.

Für die Band bedeutet der Erfolg finanzielle Sicherheit, eine sehr erfolgreiche Tournee und jede Menge Airplay auf dem neuen Medium MTV. Bis 1988 sollen noch drei weitere Alben folgen, danach löst sich die Band auf. Oder quasi: Bassistin Weymouth erfährt aus der Los Angeles Times vom Ende der Talking Heads. Was bleibt, ist ein riesiger Einfluss auf Bands und Künstler*innen wie Eddie Vedder, Radiohead, St. Vincent, The Weeknd oder Trent Reznor. Und natürlich jede Menge Musik, die zeigt, wie originell Pop eigentlich sein kann. Wenn er von den richtigen Leuten gemacht wird.

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Zum 70. von David Byrne: Die 7 wichtigsten Songs des Talking-Heads-Meinungsmachers

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