Popkultur
Die größten Benefizkonzerte aller Zeiten
Wenn man bedenkt, wie lange Musik und Politik schon Hand in Hand gingen, ist es erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis Musiker*innen realisierten, dass sie wirklich etwas bewirken konnten auf der Welt – und dazu mussten sie einfach nur das tun, was sie am besten konnten: live auftreten. Aber nach George Harrisons Concert For Bangladesh 1971 begann die Idee, sich durchzusetzen. Seitdem haben gigantische Benefizkonzerte weltweit auf Themen wie Hunger oder AIDS aufmerksam gemacht. Sie haben sich zu einem enorm wirkungsvollen Werkzeug im Arsenal politisch interessierter Musiker entwickelt. Hier sind die zehn größten Benefizkonzerte aller Zeiten.
von Jamie Atkins
Concert For Bangladesh: Madison Square Gardens, New York City (1971)
Als der Sitar-Virtuose Ravi Shankar von der schnell eskalierenden humanitären Katastrophe erfuhr, unter der die vertriebenen Ureinwohner Ostpakistans Anfang 1971 litten, vertraute er sich seinem engen Freund George Harrison an. Zunächst wollte Shankar ein eigenes Benefizkonzert veranstalten. Aber mit der Zugkraft eines Ex-Beatles an Bord, einer Partnerschaft mit UNICEF im Rücken und dem Madison Square Garden als Veranstaltungsort ging bald das erste Benefizkonzert dieser Größenordnung über die Bühne.
Genau genommen handelte es sich sogar um zwei Shows an einem Tag und als das hochkarätige Line-up feststand, wurde die Spannung fast unerträglich. Das Concert For Bangladesh war Harrisons erster großer Auftritt seit dem furiosen Start seiner Solokarriere mit All Things Must Pass; obendrein mit einer Band, die aus keinen Geringeren als Eric Clapton, Billy Preston, Leon Russell und Ringo Starr bestand! Für Bob Dylan was es der erste Auftritt seit dem Isle Of Wight Festival 1969.
Die Konzerte fanden am Sonntag, den 1. August um 14.30 Uhr und 20.00 Uhr statt und waren ein durchschlagender Erfolg – nicht nur aus finanzieller Sicht, sondern auch, weil so die Aufmerksamkeit der weltweiten Öffentlichkeit auf das Thema gelenkt wurde. Danach diente das Event als Blaupause für die größten Benefizkonzerte aller Zeiten, denn George Harrison gab seine Erfahrungen an Bob Geldof weiter, der das gigantische Live Aid 1985 veranstaltete. Auch das Album Concert For Bangladesh ist heute noch ein spannendes Zeitdokument.
The Secret Policeman’s Ball (1976-2008)
Hierbei handelt es sich um eine Konzertreihe zugunsten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die 1976 mit A Poke In The Eye (With A Sharp Stick) begann. Damals standen Top-Comedians wie Peter Cook, Monty Python und The Goodies auf dem Programm. Pete Townshend von The Who war 1979 der erste Musikact, der bei der Veranstaltungsreihe auftrat.
Seitdem geben sich Größen wie Joan Armatrading, Kate Bush, Duran Duran, Morrissey, Sting und U2 die Klinke in die Hand. Besonders erinnerungswürdig war sicherlich der Moment, als die Rockgötter von Spinal Tap Gesellschaft von David Gilmour bekamen!
Rock Against Racism Carnival, Victoria Park, London (1978)
Am 30. April 1978 bewies Rock Against Racism, dass ein großes Benefizkonzert auch ohne bekannte Veranstalter auskommt. Das Event war das Ergebnis einer zweijährigen Kampagne aus antirassistischen Gigs, der Verteilung von Fanzines und mehreren Versammlungen mit dem Ziel, dem wachsenden Rassismus in der Gesellschaft und dem Aufstieg des National Front in der britischen Politik entgegenzutreten.
Die Organisatoren hofften auf circa 20.000 Teilnehmer*innen. Als die Hälfte davon sich schon um 7.00 Uhr morgens im Londoner Trafalgar Square eingefunden hatte, um die vier Meilen zum Victoria Park im Osten Londons für das Konzert zu laufen, wurden die Erwartungen schnell revidiert. Am Ende strömten ungefähr 100.000 Menschen in den Park und erlebten Auftritte von Acts wie The Clash, Tom Robinson, Steel Pulse, X-Ray Spex und Sham 69.
Aufgrund des Erfolgs von Rock Against Racism fanden weitere Konzerte statt, das Thema bekam Aufmerksamkeit und, was besonders wichtig war, normale Menschen hatten das Gefühl, etwas bewegen zu können. Die Unterstützung für den National Front ließ nach und mittlerweile hat er in der Öffentlichkeit einen extrem schlechten Ruf. Rock Against Racism dagegen ging weiter.
Concerts For The People Of Kampuchea, London, Dezember (1979)
Zwischen 1975-79 war das Khmer Rouge Regime unter Pol Pot in Kambodscha für unglaubliches Leid und über zwei Millionen Tote verantwortlich (auch bekannt als die Kampuchea-Periode). Ende 1978 marschierte Vietnam in Kambodscha ein, um den dortigen Führer abzusetzen. Dadurch wurde das ganze Ausmaß des Schreckens, der sich in dem Land versteckt vor den Augen der Welt abspielte, bekannt.
Der damalige UN Generalsekretär Kurt Waldheim organisierte mit Unterstützung von Paul McCartney und UNICEF zwischen dem 26.-29. Dezember eine Reihe von Konzerten im Hammersmith Odeon in London, um Geld für die vom Krieg gebeutelten Menschen von Kambodscha zu sammeln. McCartneys Kontakte kamen ihm sehr zugute und Acts wie Queen, The Who, The Clash, Elvis Costello & The Attractions und Pretenders folgten seiner Einladung. Den Abschluss bildeten Wings mit ihrem allerletzten Auftritt.
Live Aid, Wembley Stadium, London / JFK Stadium, Philadelphia (1985)
1984 erschien der aus der Feder von Bob Geldof und Midge Ure stammende Song Do They Know It’s Christmas?, mit dessen Verkaufserlösen der Hunger in Äthiopien bekämpft werden sollte. Die größten Künstler der britischen Popmusik hatten auf der Single mitgewirkt und mit fünf Wochen an der Spitze der britischen Charts, war sie ein Megahit. Aber die Wirkung des Songs selbst war noch größer als sein finanzieller Erfolg, denn er hat sich tief ins nationale Bewusstsein eingegraben. Das zeigte sich schon, als Culture Club im selben Jahr eine Reihe von Weihnachtskonzerten spielten und das Publikum spontan und wie aus einer Kehle Do They Know It’s Christmas? anstimmte. Boy George war nicht der einzige, dem es komplett die Sprache verschlug.
Aber Bob Geldof legte noch einen drauf – mit einem der größten Benefizkonzerte der Musikgeschichte. Es bestand aus zwei gigantischen Events, die beide am 13. Juli, aber auf unterschiedlichen Kontinenten, stattfanden. Das Line-up war atemberaubend – es sollte die Fans vor Ort begeistern und auch ein möglichst großes Fernsehpublikum erreichen. Und das ist geglückt. Live Aid war ein Megaerfolg und inspirierte die Menschen weltweit. David Bowie, Queen, U2, Elton John, Paul McCartney, Black Sabbath, Madonna, eine Led Zeppelin-Reunion… das ist nur ein winziger Ausschnitt des Aufgebots. Dank Live Aid konnten $127 Mio. dazu verwendet werden, den Hunger zu bekämpfen und den Westen davon zu überzeugen, Getreide aus Überproduktion an verarmte Länder zu spenden.
Farm Aid, Memorial Stadium, Champaign, Illinois (1985)
Bob Dylan hat nie mit seiner Meinung hinter dem Berg gehalten und als er bei der Live Aid-Show in Philadelphia als Mitglied eines leicht ramponierten Trios mit Keith Richards und Ronnie Wood auf der Bühne stand, gab er zu bedenken, dass auch die benachteiligten Bauern in den USA Hilfe gebrauchen könnten. Das sorgte zwar für einen Aufschrei, aber viele fanden auch, dass er nicht ganz Unrecht hatte. Zu denen zählte auch Willie Nelson, der das Event in seinem Tourbus verfolgte.
Nelson beschäftigte sich eingehender mit der Krise, in der sich die Landwirtschaft in den USA befand: Wegen eines Gesetzes, das industrielle Landwirtschaftsbetriebe bevorzugte, hatten Kleinbauern sehr zu kämpfen und viele gingen bankrott. Mit Unterstützung von John Mellancamp und Neil Young veranstaltete Nelson am 22. September 1985 das erste Farm Aid. Das Line-up las sich wie eine Rock And Roll Hall Of Fame-Gästeliste: The Beach Boys, Johnny Cash, Dylan, Emmylou Harris, BB King, Roy Orbison, Lou Reed u.v.m. Und natürlich ließen es sich die Organisatoren selbst auch nicht nehmen, für den guten Zweck aufzutreten.
33 Jahre später ist Farm Aid immer noch eines der größten Benefizkonzerte und hat wahnsinnig viel erreicht – sowohl in direkter Hilfe für die Bauern als auch durch die Finanzierung von Infrastrukturprojekten, die nachhaltige Landwirtschaft ermöglichen. Alles, von Soforthilfen im Katastrophenfall bis hin zu Beratungshotlines, wird von dem großen Publikum bezahlt, welches immer wieder für Farm Aid anreist.
The Freddie Mercury Tribute Concert For AIDS Awareness, Wembley Stadium, London (1992)
Als der Queen-Sänger Freddie Mercury an Folgen seiner AIDS-Erkrankung verstarb, beschlossen seine Bandkollegen, ihn mit einem Benefizkonzert zu ehren, mit dem Geld für die AIDS-Forschung gesammelt werden sollte. Das passte auch deswegen, weil Mercury nur sieben Jahre zuvor bei Live Aid die Performance seines Lebens gegeben hatte.
Nach der Ankündigung bei den Brit Awards 1992 waren die 72.000 Tickets schnell vergriffen und das obwohl die einzige bestätigte Band die kürzlich ihres Frontmanns beraubten Queen waren. Am 20. April wurde keiner der kurzentschlossenen Käufer*innen enttäuscht.
Die erste Hälfte des Konzerts bestand aus kurzen Sets phänomenaler Acts wie Metallica, Def Leppard und Guns N’ Roses, um das Publikum langsam für den Hauptteil des Abends in Stimmung zu bringen. Dieser bestand aus einem sensationellen Queen-Best of mit einer Reihe unglaublicher Sänger. Künstler*innen wie David Bowie, Robert Plant, Elton John, Annie Lennox und Axl Rose stellten sich der Herausforderung. Aber es war George Michael mit seiner leidenschaftlichen und aufregenden Performance von Somebody To Love, der allen die Show stahl. A Concert For Life war eines der größten Benefizkonzerte aller Zeiten und wurde in 76 Ländern ausgestrahlt. Schätzungen zufolge haben eine Milliarde Menschen das Event am Fernseher verfolgt. Alle Einnahmen gingen an eine extra ins Leben gerufene AIDS-Charity. Mercury hätte dem Ganzen bestimmt seinen Segen gegeben.
Tibetan Freedom Concert, Golden Gate Park, San Francisco (1996)
Als Adam Yauch von den Beastie Boy in Kathmandu, Nepal, die Aktivistin Erin Potts traf, erfuhr er alles über die Notlage der im Exil lebenden Tibeter und über Potts Bemühungen, Ihnen zu helfen. Nach der Begegnung blieben sie über Jahre in Kontakt und Potts hielt Yauch über die Aktivist*innen und ihre Arbeit auf dem Laufenden. Irgendwann fiel der Entschluss, ein Benefizkonzert zu veranstalten.
Das erste Tibetan Freedom Concert war eines der größten Benefizkonzerte der 90er: Unglaubliche 100.000 Menschen füllten während der zwei Tage den Golden Gate Park in San Francisco, um Künstler*innen wie Björk, A Tribe Called Quest, Rage Against The Machine, John Lee Hooker, Fugees, Pavement und natürlich die Beasties selbst zu sehen. Aber Potts und Yauch taten alles dafür, dass die Musikfans auch verstanden, worum es bei dem Event ging. Zwischen all den fantastischen Musikacts platzierten sie Ansprachen von Exilant*innen aus Tibet und Experten zu der Geschichte der Region. Die Tibetan Freedom Concerts fanden bis 2003 regelmäßig statt und haben nicht nur das Thema ins öffentliche Bewusstsein gerückt, sondern auch viel Geld gesammelt.
The Concert For New York City, Madison Square Garden, New York City (2001)
Wahrscheinlich war es abzusehen, dass der 11. September 2001 eines der größten Benefizkonzerte, das die USA je gesehen hat, nach sich ziehen würde. Das Concert For New York City am 20. Oktober 2001 ehrte Polizisten und Feuerwehrleute, die zuerst am Schauplatz der Tragödie waren und alle anderen, die an den Rettungs- und Bergungsarbeiten beteiligt waren.
Paul McCartney organisierte ein Konzert mit legendären Rockacts und aktuellen US-Popstars: Mick Jagger und Keith Richards, Bowie, Elton John und James Taylor standen Seite an Seite mit Destiny’s Child, Backstreet Boys und Jay Z. Aber die stürmischste Reaktion bekam der Auftritt von The Who. Ihr kurzes Set hinterließ einen so bleibenden Eindruck, dass die verbliebenen Mitglieder Roger Daltrey und Pete Townshend im Dezember 2008 vom Kennedy Centre ausgezeichnet wurden.
One Love Manchester, Old Trafford Cricket Ground, Manchester (2017)
Jeder hätte es verstanden, wenn sich Ariana Grande nach dem Bombenattentat auf ihr Konzert in der Manchester Arena am 22. Mai 2017 aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hätte. Aber stattdessen zeigte die Sängerin bemerkenswerten Mut und Kampfgeist und organisierte nur zwei Wochen nach dem schrecklichen Attentat ein Benefizkonzert, um den Opfern zu helfen.
Pop- und Rockgrößen waren gerne bereit, ihren Beitrag zu leisten, darunter auch einige direkt aus Manchester – nämlich Take That und Liam Gallagher. Aber eigentlich schauten alle auf Ariana Grande und sie meisterte nicht nur eines der größten Benefizkonzerte aller Zeiten, sondern auch das bis dahin größte Konzert ihrer Karriere. Für viele war der erinnerungswürdigste Moment des Abends, als sie unterstützt von Coldplay, den Oasis-Hit Don’t Look Back In Anger sang, der die Stadt seit dem Ereignis zusammengehalten und ihr Kraft gegeben hat.
Headerbild: Queen Productions Ltd
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Popkultur
Vor 55 Jahren feierten Simon & Garfunkel mit „Mrs. Robinson“ eine Nummer eins
Am 1. Juni 1968 landeten Simon and Garfunkel mit Mrs. Robinson auf Platz 1 der US-amerikanischen Billboard Hot 100 Charts — und blieben dort drei Wochen lang. Wir werfen einen Blick auf die Entstehung des Songs.
von Markus Brandstetter
Es ist einer der größten Songs der Popgeschichte — und entstand zu einem guten Teil sozusagen aus Verlegenheit. Geschrieben hatte Paul Simon den Song eigens für den 1967 erschienenen Film The Graduate. Ganz einfach war die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Mike Nichols nicht — dieser hatte nämlich zwei andere Songvorschläge abgelehnt.
Zähe Soundtrack-Zusammenarbeit
Simon hatte ihm zwei Stücke namens Punky’s Dilemma und Overs vorgespielt, so richtig enthusiastisch stimmen Nichols die Songs allerdings nicht. Der Sänger und Songschreiber hatte noch etwas in der Tasche: einen Entwurf eines Stücks namens Mrs. Roosevelt (so der Arbeitstitel des Stücks, der sich ursprünglich auf die Politaktivisten und Ehefrau des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, Eleanor Roosevelt bezog. Dass der Song dann auf Mrs. Robinson umgetauft wurde, macht Sinn — schließlich heißt so der weibliche Hauptcharakter des Films. Die Geschichten, wie es dazu kam, variieren indes ein wenig.
„Paul hatte an dem Song gearbeitet, der jetzt Mrs. Robinson heißt, aber es gab keinen Namen darin und wir füllten ihn einfach mit irgendeinem dreisilbigen Namen. Und wegen des Charakters in dem Film fingen wir einfach an, den Namen Mrs. Robinson zu verwenden, weil er passte […]“, erinnerte sich Art Garfunkel einmal. Eines Tages saßen wir mit Mike zusammen und sprachen über Ideen für einen weiteren Song. Und ich sagte: Wie wäre es mit Mrs. Robinson? Mike schoss auf die Beine. Ihr habt einen Song, der Mrs. Robinson heißt, und ihr habt ihn mir noch nicht einmal gezeigt? Also erklärten wir ihm den Arbeitstitel und sangen ihn ihm vor. Und dann hat Mike ihn für den Film als ‘Mrs. Robinson’ verewigt.“
Paul Simon: „Ich wusste nicht einmal, was ich spielte“
Paul Simon, der am Anfang von der Auftragsarbeit nicht wirklich begeistert war, erinnert sich folgendermaßen: „Mike Nichols rief an und fragte uns. Er sagte, er habe ein Buch und wolle einen Film mit dem Titel The Graduate drehen… Er überzeugte uns, die Musik zu machen. Die Musik sollte größtenteils Originalmusik sein, aber es kam vor, dass wir, um eine Szene zu füllen, ein Musikstück nahmen und es dort einsetzten, nur um zu hören, wie die Musik klingen würde.“ Die Entstehung des Songs sei sehr spontan und intuitiv gewesen, erzählt er: „Mrs. Robinson wurde an Ort und Stelle erfunden”, fährt er fort. “Ursprünglich sollte das eine Verfolgungsszene sein, und sie wollten Gitarrenmusik. Ich spielte… Ich wusste nicht einmal, was ich spielte, ich riffte einfach auf der Gitarre.” Auf dem Soundtrack des Films finden sich zwei Kurzversionen des Stücks. Die volle Version — die sich in einigen Dingen unterscheidet, gab es erst im Jahr darauf zu hören: da veröffentlichten Simon & Garfunkel ihr Album Bookends.
„Das von Harmonien getriebene Lied des schwülen Vorstadtvergnügens“
Textlich ist der Song ganz auf die Filmfigur Mrs. Robinson zugeschnitten, die eine komplexe Beziehung mit einem jungen Mann eingeht. Oder wie es das Magazin American Songwriter beschreibt: „Der berüchtigte Song Mrs. Robinson von Simon & Garfunkel ist die inoffizielle Hymne einer außerehelichen Affäre. Es ist die inoffizielle Hymne der älteren Frau. Es ist das von Harmonien getriebene Lied des schwülen Vorstadtvergnügens.“
Joe DiMaggio: „Ich bin nirgendwo hingegangen!“
Einer soll übrigens über den Text — genauer gesagt die legendäre Zeile „Where have you gone, Joe DiMaggio“ — nicht begeistert gewesen sein: nämlich die Baseball-Legende Joe DiMaggio selbst. Simon berichtet, ihn in einem Restaurant getroffen zu haben. Das Gespräch sei so verlaufen: „Ich war zufällig in einem Restaurant und da war er. Ich nahm meinen Mut zusammen und ging hin, um mich vorzustellen und zu sagen: ‚Hi, ich bin der Typ, der “Mrs. Robinson” geschrieben hat’, und er sagte: ‚Ja, setzen Sie sich… warum sagen Sie das? Ich bin hier, jeder weiß, dass ich hier bin.æ Ich sagte:‚’So habe ich es nicht gemeint – ich meine, wo sind diese großen Helden jetzt?’ Er war geschmeichelt, als er verstand, dass es schmeichelhaft gemeint war.”
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Popkultur
Zeitsprung: Am 1.6.1975 beginnt Ron Wood seine erste Tour als Gitarrist der Rolling Stones.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.6.1975.
von Christian Böhm und Christof Leim
Manchmal regelt das Universum die Dinge. So mag es sich zumindest für Ron Wood anfühlen, als er am 1. Juni 1975 die Bühne betritt. Es ist der Beginn der USA-Tour der Rolling Stones zum gerade erschienenen Album It’s Only Rock’n’Roll – und Ron Woods erste Tour als ihr neuer Gitarrist. Sein Einstieg bei der wahrscheinlich größten Rock-Band der Welt stellt sicherlich einen Meilenstein seiner Karriere dar, die bis dato schon beachtlich lief. Und Ron Wood, der davor bei den Birds, der Jeff Beck Band und bei den Faces gespielt hatte, bleibt bis heute Mitglied der Rolling Stones.
Hier könnt ihr euch das damals aktuelle Album It’s Only Rock’n’Roll anhören:
Für einen Kollegen geht mit diesem Anfang natürlich etwas zu Ende – und im Nachhinein sagt Woods Vorgänger bei den Stones, Mick Taylor, dass ihm schon immer irgendwie klar war, dass er in dieser Band nicht ewig spielen würde. Auch für Ron Wood endet gerade etwas, als Mick Jagger anruft und ihm den Job des Tourgitarristen anbietet: Die Faces sind im Begriff, sich aufzulösen, als das Telefon klingelt und für Ron etwas Neues beginnt. Man sagt ja, dass neue Türen sich genau dann öffnen, wenn man die alten schließt.
Touren sind nie langweilig
It’s Only Rock’n’Roll heißt die Tour, und der Titel trifft es wohl ziemlich genau: Vor Beginn fährt die Band Brown Sugar spielend auf einem LKW über die New Yorker 5th Avenue. Ein gelungener Promo-Gag! Nicht ganz so gelungen und auch nicht unbedingt lustig verläuft dann eine Fahrt durch Arkansas. Im Örtchen Fordyce droht die Sause vorzeitig zu enden, als die dortige Polizei die Band stoppt und zumindest einen Teil der nicht gerade wenigen Drogen in ihrem Wagen findet. Ihr Anwalt boxt die Rocker aus der Situation heraus, und so zieht der Tross weiter durch den sogenannten „Bible Belt“, den extrem christlichen Teil der USA. Wem nicht klar ist, wie die Gepflogenheiten in diesem Landstrich so aussehen, dem sei gesagt, das in Arkansas einmal versucht wurde, Rock’n’Roll per Gesetz zu verbieten.
Darüber lacht Keith Richards nicht schlecht in seiner in seiner Autobiografie Life, welche übrigens mit der oben beschriebenen Geschichte beginnt.
Ron (oder auch Ronnie, wie manche ihn nennen) Wood kannte seine neuen Mitstreiter schon vorher: Am Titelsong des Albums It’s Only Rock’n’Roll ist der Gitarrist kompositorisch beteiligt. Jagger und Richards wiederum hatten ihm zuvor bei seinem Soloalbum I’ve Got My Own Album To Do (1974) ausgeholfen. Als er die Platte 1974 schreibt, gehört Ron Wood auch zu den Faces und gibt dort mit Rod Steward ein ähnliches Duo ab wie Mick Jagger mit Keith Richards bei den Stones.
Man kennt sich, man versteht sich
Auf selbiger verstehen Keith und Ron sich fast blind. Schmunzelnd sagt Richards im Interview mit Gitarre & Bass: „Wenn ich mitbekomme, dass er sich irgendwohin bewegt, ziehe ich mich zurück und tauche unter ihm ab. Und wenn er hört, dass ich abhebe, macht er dasselbe. Es ist eben genau wie beim Weben, mit den verschiedenen Fäden – und wir sind die dienstälteste Manufaktur auf Erden. Alt und rostig. Aber hey – es funktioniert.“ Die Chemie zwischen den beiden stimmt also. Seine eigenen Songs aber kann Ronnie bei den Stones eher selten unterbringen. Die meisten Songs kommen dann eben doch von… na, von den beiden anderen eben.
„Ich wäre schon froh, wenn sie meine Stücke überhaupt mal ernsthaft anhören würden, sie könnten ja sagen: „Vergiss es, das Zeugs ist Mist.“ Aber sie könnten meinen Stücken wenigstens eine Chance geben“, sagt Wood dazu. Klingt nicht gerade nach Friede-Freude-Eierkuchen, aber so läuft das Rock’n’Roll-Geschäft ja auch nicht immer. Man sagt, Ron sei nicht immer nur Gitarrist gewesen, sondern musste auch öfter den Streitschlichter geben, wenn die beiden guten Freunde Keith und Mick sich mal wieder in den Haaren hatten.
Nicht ungefährlich
Apropos Rock’n’Roll: Für Präsident Richard Nixon waren die Stones nicht die größte, sondern „die gefährlichste Rock’n’Roll-Band der Welt“, was er dem Anwalt der Band offiziell mitteilen ließ. Ganz ungefährlich lief auch Ron Woods Leben nicht: Mehrmals unterzieht er sich Entziehungskuren, um seiner Alkoholsucht zu entkommen, und auch bezüglich anderer Substanzen galt er nicht als Kind von Traurigkeit. Bis zu acht Pints Guinness (und das sind immerhin über vier Liter Bier!) an einem Tag sollen keine Seltenheit gewesen sein – und obendrauf kamen mehrere Flaschen harter Schnaps. Nüchtern betrachtet war es Ron Wood vielleicht auch deshalb nicht möglich, die Leadgitarre der Band zu übernehmen, obwohl er das eigentlich tun sollte, denn Keith Richards gab seit jeher den Rhythmusgitarristen. Gern nennt man Keith das „Human Riff“, das menschliche Gitarrenriff, aber nun übernimmt er öfter die Leadgitarre. Auf der Bühne bedröhnt waren sie bisweilen beide.
Nochmal zurück zum Anfang der Geschichte: Mick Taylor, der den Platz für Ron Wood im Juni 1975 räumte, hatte die Qualitäten eines Rhythmusgitarristen. Noch weiter zurück findet man den anderen, vielleicht bekannteren Vorgänger Woods: Brian Jones. Auch dieser war bekannt für seinen ausschweifenden Alkohol- und Drogenkonsum. Während man Jones aber 1969 tot im Pool fand, hat Ron Wood seine Eskapaden überlebt.
Ein langer Weg
Vom langen Weg an die Spitze des Rock’n’Roll sang bekanntlich schon eine andere Rock-Größe vom unteren Ende der Welt. Vom Tour-Gitarristen avanciert Ronnie Wood zum festen Bandmitglied. Dann vergehen fast 20 Jahre als angestellter Musiker, bevor er 1993 auch Beteiligter am Unternehmen Rolling Stones wird. Später wird er sagen, dass ihm schon vor dem 1. Juni 1975 irgendwie klar war, dass er letztendlich bei den Stones landen würde. Er musste nur warten, bis das Universum das für ihn regelt.
Zeitsprung: Am 19.7.1989 rebelliert eine Kleinstadt gegen die Rolling Stones.
Popkultur
„Speaking In Tongues“ wird 40: Die Talking Heads verbrüdern Art-Rock und Schwarzen Soul
Die Talking Heads sind Ikonen der kunstvollen Popmusik. Ihr größter Erfolg landet vor genau 40 Jahren: Mit Speaking In Tongues gelingt David Byrne und Band der Durchbruch – auch dank Burning Down The House, das man in Europa aber eher wegen Tom Jones kennt.
von Björn Springorum
Die New Yorker Kunstszene der Siebziger ist ein Schmelztiegel radikaler Ideen und freakiger Gestalten. Nur hier kann Andy Warhols Factory entstehen, nur hier fließen Kunst, Pop und Punk so mühelos zusammen. Auch die Talking Heads gehen aus der Kunst-Bubble der Stadt hervor. David Byrne und Chris Frantz besuchen die Rhode Island School Of Design, gehen mit so ziemlich den gegensätzlichsten Ideen in die Bandgründung wie beispielsweise die Ramones. Kunstvoll soll es sein, avantgardistisch, vielschichtig, intelligent. Mit Kommilitonin Tina Weymouth ziehen sie nach New York City, teilen sich ein Loft. Bis dahin also eine ganz normale Studentengeschichte.
Basslernen mit Suzi Quatro
Fast: Weymouth bringt sich nämlich das Bassspielen mit alten Suzi-Quatro-Platten bei, geboren sind auch schon die Talking Heads. Und Apropos die Ramones: Ihren ersten Gig spielen sie ausgerechnet im Vorprogramm der Punk-Rocker aus Queens – am 5. Juni 1975. Danach geht es recht schnell: 1977 landen sie mit Psycho Killer einen riesigen Hit, Ende der Siebziger stecken sie vermehrt mit Frickelguru Brian Eno unter einer Decke. Ihr Ruf als Art-Rock-Band trägt sich in die Welt hinaus, scheinbar mühelos vermengen die Talking Heads Pop, Funk, Rock, Wave oder Afrobeat. Doch die Flamme brennt hell: Vier Alben in vier Jahren zollen ihren Tribut, die Band muss kürzer treten, macht erst mal Pause.
Die Band verfolgt eigene Projekte, trennt sich von Eno (der sich bekanntlich U2 zuwendet) und findet im Sommer 1982 wieder zusammen. Die Akkus sind voll, der Ideenkoffer prall gefüllt. Zwischen Juli 1982 und Februar 1983 entsteht in New York City, Philadelphia und den legendären Compass Point Studios auf den Bahamas Speaking In Tongues – das Album, das ihr kommerzieller Durchbruch werden soll. Denn aller Anerkennung und Reputation zum Trotz: So richtig Kohle gescheffelt wurde mit der anspruchsvollen Musik bisher noch nicht.
Ohne Brian Eno wird es kommerzieller
Nun kann man so etwas natürlich nie planen, doch ohne die Kopflastigkeit ihres Kollaborateurs Eno gelingt ihnen ein leichteres, zugänglicheres Album, das ihre kunstvolle Wave-Sensibilität mit Schwarzem Funk verbrüdert. Slippery People oder Swamp zeigen klare Gospel-Schlagseite, zudem ist da natürlich diese Vielfalt an Effekten, Synthie-Spielereien, seltsamen Arrangements und Sounds. Aber eben nie so viel um einen einfachen Hörgenuss zu schmälern. Ohne es genau zu wissen machen die Talking Heads ihren komplexen Sound offener, eingängiger. Kommerzieller. Die Talking Heads sind 1983 das Mittelstück zwischen Television und Michael Jackson.
Auch der Tiger brennt das Haus nieder
Liegt natürlich auch an Burning Down The House, den sie gleich als Opener auf Speaking In Tongues packen. Ihr einziger Top-Ten-Hit in den USA ist ein unwiderstehlicher Groover, der außerhalb von Nordamerika aber auf legendär wenig Interesse stößt. Da ist das Cover von Tom Jones und den Cardigans aus dem Jahr 1999 deutlich erfolgreicher: Halb Europa heißt die Interpretation in den Top Ten Willkommen.
Für die Band bedeutet der Erfolg finanzielle Sicherheit, eine sehr erfolgreiche Tournee und jede Menge Airplay auf dem neuen Medium MTV. Bis 1988 sollen noch drei weitere Alben folgen, danach löst sich die Band auf. Oder quasi: Bassistin Weymouth erfährt aus der Los Angeles Times vom Ende der Talking Heads. Was bleibt, ist ein riesiger Einfluss auf Bands und Künstler*innen wie Eddie Vedder, Radiohead, St. Vincent, The Weeknd oder Trent Reznor. Und natürlich jede Menge Musik, die zeigt, wie originell Pop eigentlich sein kann. Wenn er von den richtigen Leuten gemacht wird.
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