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Popkultur

Die größten Benefizkonzerte aller Zeiten

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Wenn man bedenkt, wie lange Musik und Politik schon Hand in Hand gingen, ist es erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis Musiker*innen realisierten, dass sie wirklich etwas bewirken konnten auf der Welt – und dazu mussten sie einfach nur das tun, was sie am besten konnten: live auftreten. Aber nach George Harrisons Concert For Bangladesh 1971 begann die Idee, sich durchzusetzen. Seitdem haben gigantische Benefizkonzerte weltweit auf Themen wie Hunger oder AIDS aufmerksam gemacht. Sie haben sich zu einem enorm wirkungsvollen Werkzeug im Arsenal politisch interessierter Musiker entwickelt. Hier sind die zehn größten Benefizkonzerte aller Zeiten.

von Jamie Atkins

Concert For Bangladesh: Madison Square Gardens, New York City (1971)

Als der Sitar-Virtuose Ravi Shankar von der schnell eskalierenden humanitären Katastrophe erfuhr, unter der die vertriebenen Ureinwohner Ostpakistans Anfang 1971 litten, vertraute er sich seinem engen Freund George Harrison an. Zunächst wollte Shankar ein eigenes Benefizkonzert veranstalten. Aber mit der Zugkraft eines Ex-Beatles an Bord, einer Partnerschaft mit UNICEF im Rücken und dem Madison Square Garden als Veranstaltungsort ging bald das erste Benefizkonzert dieser Größenordnung über die Bühne.

Genau genommen handelte es sich sogar um zwei Shows an einem Tag und als das hochkarätige Line-up feststand, wurde die Spannung fast unerträglich. Das Concert For Bangladesh war Harrisons erster großer Auftritt seit dem furiosen Start seiner Solokarriere mit All Things Must Pass; obendrein mit einer Band, die aus keinen Geringeren als Eric Clapton, Billy Preston, Leon Russell und Ringo Starr bestand! Für Bob Dylan was es der erste Auftritt seit dem Isle Of Wight Festival 1969.

Die Konzerte fanden am Sonntag, den 1. August um 14.30 Uhr und 20.00 Uhr statt und waren ein durchschlagender Erfolg – nicht nur aus finanzieller Sicht, sondern auch, weil so die Aufmerksamkeit der weltweiten Öffentlichkeit auf das Thema gelenkt wurde. Danach diente das Event als Blaupause für die größten Benefizkonzerte aller Zeiten, denn George Harrison gab seine Erfahrungen an Bob Geldof weiter, der das gigantische Live Aid 1985 veranstaltete. Auch das Album Concert For Bangladesh ist heute noch ein spannendes Zeitdokument.


The Secret Policeman’s Ball (1976-2008)

Hierbei handelt es sich um eine Konzertreihe zugunsten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die 1976 mit A Poke In The Eye (With A Sharp Stick) begann. Damals standen Top-Comedians wie Peter Cook, Monty Python und The Goodies auf dem Programm. Pete Townshend von The Who war 1979 der erste Musikact, der bei der Veranstaltungsreihe auftrat.

Seitdem geben sich Größen wie Joan Armatrading, Kate Bush, Duran Duran, Morrissey, Sting und U2 die Klinke in die Hand. Besonders erinnerungswürdig war sicherlich der Moment, als die Rockgötter von Spinal Tap Gesellschaft von David Gilmour bekamen!


Rock Against Racism Carnival, Victoria Park, London (1978)

Am 30. April 1978 bewies Rock Against Racism, dass ein großes Benefizkonzert auch ohne bekannte Veranstalter auskommt. Das Event war das Ergebnis einer zweijährigen Kampagne aus antirassistischen Gigs, der Verteilung von Fanzines und mehreren Versammlungen mit dem Ziel, dem wachsenden Rassismus in der Gesellschaft und dem Aufstieg des National Front in der britischen Politik entgegenzutreten.

Die Organisatoren hofften auf circa 20.000 Teilnehmer*innen. Als die Hälfte davon sich schon um 7.00 Uhr morgens im Londoner Trafalgar Square eingefunden hatte, um die vier Meilen zum Victoria Park im Osten Londons für das Konzert zu laufen, wurden die Erwartungen schnell revidiert. Am Ende strömten ungefähr 100.000 Menschen in den Park und erlebten Auftritte von Acts wie The Clash, Tom Robinson, Steel Pulse, X-Ray Spex und Sham 69.

Aufgrund des Erfolgs von Rock Against Racism fanden weitere Konzerte statt, das Thema bekam Aufmerksamkeit und, was besonders wichtig war, normale Menschen hatten das Gefühl, etwas bewegen zu können. Die Unterstützung für den National Front ließ nach und mittlerweile hat er in der Öffentlichkeit einen extrem schlechten Ruf. Rock Against Racism dagegen ging weiter.


Concerts For The People Of Kampuchea, London, Dezember (1979)

Zwischen 1975-79 war das Khmer Rouge Regime unter Pol Pot in Kambodscha für unglaubliches Leid und über zwei Millionen Tote verantwortlich (auch bekannt als die Kampuchea-Periode). Ende 1978 marschierte Vietnam in Kambodscha ein, um den dortigen Führer abzusetzen. Dadurch wurde das ganze Ausmaß des Schreckens, der sich in dem Land versteckt vor den Augen der Welt abspielte, bekannt.

Der damalige UN Generalsekretär Kurt Waldheim organisierte mit Unterstützung von Paul McCartney und UNICEF zwischen dem 26.-29. Dezember eine Reihe von Konzerten im Hammersmith Odeon in London, um Geld für die vom Krieg gebeutelten Menschen von Kambodscha zu sammeln. McCartneys Kontakte kamen ihm sehr zugute und Acts wie Queen, The Who, The Clash, Elvis Costello & The Attractions und Pretenders folgten seiner Einladung. Den Abschluss bildeten Wings mit ihrem allerletzten Auftritt.


Live Aid, Wembley Stadium, London / JFK Stadium, Philadelphia (1985)

1984 erschien der aus der Feder von Bob Geldof und Midge Ure stammende Song Do They Know It’s Christmas?, mit dessen Verkaufserlösen der Hunger in Äthiopien bekämpft werden sollte. Die größten Künstler der britischen Popmusik hatten auf der Single mitgewirkt und mit fünf Wochen an der Spitze der britischen Charts, war sie ein Megahit. Aber die Wirkung des Songs selbst war noch größer als sein finanzieller Erfolg, denn er hat sich tief ins nationale Bewusstsein eingegraben. Das zeigte sich schon, als Culture Club im selben Jahr eine Reihe von Weihnachtskonzerten spielten und das Publikum spontan und wie aus einer Kehle Do They Know It’s Christmas? anstimmte. Boy George war nicht der einzige, dem es komplett die Sprache verschlug.

Aber Bob Geldof legte noch einen drauf – mit einem der größten Benefizkonzerte der Musikgeschichte. Es bestand aus zwei gigantischen Events, die beide am 13. Juli, aber auf unterschiedlichen Kontinenten, stattfanden. Das Line-up war atemberaubend – es sollte die Fans vor Ort begeistern und auch ein möglichst großes Fernsehpublikum erreichen. Und das ist geglückt. Live Aid war ein Megaerfolg und inspirierte die Menschen weltweit. David Bowie, Queen, U2, Elton John, Paul McCartney, Black Sabbath, Madonna, eine Led Zeppelin-Reunion… das ist nur ein winziger Ausschnitt des Aufgebots. Dank Live Aid konnten $127 Mio. dazu verwendet werden, den Hunger zu bekämpfen und den Westen davon zu überzeugen, Getreide aus Überproduktion an verarmte Länder zu spenden.


Farm Aid, Memorial Stadium, Champaign, Illinois (1985)

Bob Dylan hat nie mit seiner Meinung hinter dem Berg gehalten und als er bei der Live Aid-Show in Philadelphia als Mitglied eines leicht ramponierten Trios mit Keith Richards und Ronnie Wood auf der Bühne stand, gab er zu bedenken, dass auch die benachteiligten Bauern in den USA Hilfe gebrauchen könnten. Das sorgte zwar für einen Aufschrei, aber viele fanden auch, dass er nicht ganz Unrecht hatte. Zu denen zählte auch Willie Nelson, der das Event in seinem Tourbus verfolgte.

Nelson beschäftigte sich eingehender mit der Krise, in der sich die Landwirtschaft in den USA befand: Wegen eines Gesetzes, das industrielle Landwirtschaftsbetriebe bevorzugte, hatten Kleinbauern sehr zu kämpfen und viele gingen bankrott. Mit Unterstützung von John Mellancamp und Neil Young veranstaltete Nelson am 22. September 1985 das erste Farm Aid. Das Line-up las sich wie eine Rock And Roll Hall Of Fame-Gästeliste: The Beach Boys, Johnny Cash, Dylan, Emmylou Harris, BB King, Roy Orbison, Lou Reed u.v.m. Und natürlich ließen es sich die Organisatoren selbst auch nicht nehmen, für den guten Zweck aufzutreten.

33 Jahre später ist Farm Aid immer noch eines der größten Benefizkonzerte und hat wahnsinnig viel erreicht – sowohl in direkter Hilfe für die Bauern als auch durch die Finanzierung von Infrastrukturprojekten, die nachhaltige Landwirtschaft ermöglichen. Alles, von Soforthilfen im Katastrophenfall bis hin zu Beratungshotlines, wird von dem großen Publikum bezahlt, welches immer wieder für Farm Aid anreist.


The Freddie Mercury Tribute Concert For AIDS Awareness, Wembley Stadium, London (1992)

Als der Queen-Sänger Freddie Mercury an Folgen seiner AIDS-Erkrankung verstarb, beschlossen seine Bandkollegen, ihn mit einem Benefizkonzert zu ehren, mit dem Geld für die AIDS-Forschung gesammelt werden sollte. Das passte auch deswegen, weil Mercury nur sieben Jahre zuvor bei Live Aid die Performance seines Lebens gegeben hatte.

Nach der Ankündigung bei den Brit Awards 1992 waren die 72.000 Tickets schnell vergriffen und das obwohl die einzige bestätigte Band die kürzlich ihres Frontmanns beraubten Queen waren. Am 20. April wurde keiner der kurzentschlossenen Käufer*innen enttäuscht.

Die erste Hälfte des Konzerts bestand aus kurzen Sets phänomenaler Acts wie Metallica, Def Leppard und Guns N’ Roses, um das Publikum langsam für den Hauptteil des Abends in Stimmung zu bringen. Dieser bestand aus einem sensationellen Queen-Best of mit einer Reihe unglaublicher Sänger. Künstler*innen wie David Bowie, Robert Plant, Elton John, Annie Lennox und Axl Rose stellten sich der Herausforderung. Aber es war George Michael mit seiner leidenschaftlichen und aufregenden Performance von Somebody To Love, der allen die Show stahl. A Concert For Life war eines der größten Benefizkonzerte aller Zeiten und wurde in 76 Ländern ausgestrahlt. Schätzungen zufolge haben eine Milliarde Menschen das Event am Fernseher verfolgt. Alle Einnahmen gingen an eine extra ins Leben gerufene AIDS-Charity. Mercury hätte dem Ganzen bestimmt seinen Segen gegeben.


Tibetan Freedom Concert, Golden Gate Park, San Francisco (1996)

Als Adam Yauch von den Beastie Boy in Kathmandu, Nepal, die Aktivistin Erin Potts traf, erfuhr er alles über die Notlage der im Exil lebenden Tibeter und über Potts Bemühungen, Ihnen zu helfen. Nach der Begegnung blieben sie über Jahre in Kontakt und Potts hielt Yauch über die Aktivist*innen und ihre Arbeit auf dem Laufenden. Irgendwann fiel der Entschluss, ein Benefizkonzert zu veranstalten.

Das erste Tibetan Freedom Concert war eines der größten Benefizkonzerte der 90er: Unglaubliche 100.000 Menschen füllten während der zwei Tage den Golden Gate Park in San Francisco, um Künstler*innen wie Björk, A Tribe Called Quest, Rage Against The Machine, John Lee Hooker, Fugees, Pavement und natürlich die Beasties selbst zu sehen. Aber Potts und Yauch taten alles dafür, dass die Musikfans auch verstanden, worum es bei dem Event ging. Zwischen all den fantastischen Musikacts platzierten sie Ansprachen von Exilant*innen aus Tibet und Experten zu der Geschichte der Region. Die Tibetan Freedom Concerts fanden bis 2003 regelmäßig statt und haben nicht nur das Thema ins öffentliche Bewusstsein gerückt, sondern auch viel Geld gesammelt.


The Concert For New York City, Madison Square Garden, New York City (2001)

Wahrscheinlich war es abzusehen, dass der 11. September 2001 eines der größten Benefizkonzerte, das die USA je gesehen hat, nach sich ziehen würde. Das Concert For New York City am 20. Oktober 2001 ehrte Polizisten und Feuerwehrleute, die zuerst am Schauplatz der Tragödie waren und alle anderen, die an den Rettungs- und Bergungsarbeiten beteiligt waren.

Paul McCartney organisierte ein Konzert mit legendären Rockacts und aktuellen US-Popstars: Mick Jagger und Keith Richards, Bowie, Elton John und James Taylor standen Seite an Seite mit Destiny’s Child, Backstreet Boys und Jay Z. Aber die stürmischste Reaktion bekam der Auftritt von The Who. Ihr kurzes Set hinterließ einen so bleibenden Eindruck, dass die verbliebenen Mitglieder Roger Daltrey und Pete Townshend im Dezember 2008 vom Kennedy Centre ausgezeichnet wurden.


One Love Manchester, Old Trafford Cricket Ground, Manchester (2017)

Jeder hätte es verstanden, wenn sich Ariana Grande nach dem Bombenattentat auf ihr Konzert in der Manchester Arena am 22. Mai 2017 aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hätte. Aber stattdessen zeigte die Sängerin bemerkenswerten Mut und Kampfgeist und organisierte nur zwei Wochen nach dem schrecklichen Attentat ein Benefizkonzert, um den Opfern zu helfen.

Pop- und Rockgrößen waren gerne bereit, ihren Beitrag zu leisten, darunter auch einige direkt aus Manchester – nämlich Take That und Liam Gallagher. Aber eigentlich schauten alle auf Ariana Grande und sie meisterte nicht nur eines der größten Benefizkonzerte aller Zeiten, sondern auch das bis dahin größte Konzert ihrer Karriere. Für viele war der erinnerungswürdigste Moment des Abends, als sie unterstützt von Coldplay, den Oasis-Hit Don’t Look Back In Anger sang, der die Stadt seit dem Ereignis zusammengehalten und ihr Kraft gegeben hat.


Headerbild: Queen Productions Ltd

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