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“Countdown To Extinction”: Der Punkt, an dem Megadeth explodieren mussten

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Wer die Geschichte des fünften Megadeth-Albums Countdown To Extinction nachvollziehen will, muss sich erst mal den Kontext vergegenwärtigen und sich klarmachen, wie die Welt aussah an jenem 14. Juli 1992, als die Bombe platzte.

von Caren Gibson

Zunächst einmal wäre da der Begriff „heavy“, der in jenen Tagen vollkommen neu definiert wurde: Alternative-Rock war nämlich das große Ding in den Anfangstagen der Neunziger, mit Nevermind von Nirvana sogar ganz oben in den Charts vertreten. Auch Seattle-Kollegen wie Alice In Chains und Soundgarden waren im Anmarsch, zusammen mit weiteren Vertretern der Grunge-Welle, die langsam aber sicher losrollte. Ihr Erfolg basierte auf einer neuen Kombination: Ein bisschen Punk, ein bisschen klassischen Rock, ein paar Anklänge von ganz frühem Heavy Metal – fertig. Diese neue Art von „heavy music“ war schlagartig überall, definierte ein ganzes Jahrzehnt.


Jetzt reinhören in Countdown To Extinction:

Für das ganze Album klickt auf “Listen”.


Auch das sehr viel härtere Thrash Metal-Genre, in dem Megadeth zu verorten waren – genau genommen waren sie sogar eine der „Big Four“ des Genres (zusammen mit Slayer, Anthrax und Metallica) –, verzeichnete massive Umwälzungen und Veränderungen in jenen Tagen. Metallica hatten im Jahr zuvor ihr gleichnamiges („schwarzes“) Album #5 vorgelegt: Das Tempo war darauf zum Teil radikal gedrosselt, plötzlich war sogar Platz für Popmomente dank Producer Bob Rock – und doch war es noch irgendwie noch immer „heavy“, immer noch unverwechselbar Metallica.

Die anderen beiden Bands, die zu den „Big Four“ des Thrash Metal zählten, Slayer und Anthrax, schlugen ebenfalls neue Wege ein: Letztere hatten mit den Hip-Hop-Vordenkern Public Enemy den Track Bring The Noise aufgenommen und sie obendrein auf Tour begleitet. Mit dem Neuzugang von Sänger John Bush spielten Melodien bei Anthrax auch plötzlich eine größere Rolle als Lautstärke und hohes Tempo. Die eigentlich vom Speed Metal geprägten Slayer aus L.A. hingegen hatten schon zwei Jahre zuvor auf dem Album Seasons In The Abyss mehrere Gänge herunterschaltet. Die Ironie an der Geschichte: Gerade weil ihre Kollegen das Tempo drosselten, liefen Megadeth nun Gefahr, den Anschluss zu verlieren.



Aufgenommen von jener Besetzung, die heute von vielen als „klassisch“ bezeichnet wird – neben Sänger und Gitarrist Mustaine wären das Bassist Dave Ellefson, Gitarrist Marty Friedman und Schlagzeuger Nick Menza –, setzten auch Megadeth für Countdown To Extinction auf einen veränderten Sound: Minimalistischer, straffer, fokussierter. Nachdem Metallica bewiesen hatten, dass man auch als eine der „Big Four“ im Mainstream-Bereich erfolgreich sein konnte, wollte Mustaine es nun einfach wissen…

Obwohl ihre Thrash-Wurzeln auf Songs wie Skin O’ My Teeth, Architecture Of Aggression, High Speed Dirt oder auch Ashes In Your Mouth nach wie vor zu hören waren, präsentierten sie insgesamt eine zugänglichere, deutlich gestraffte Version des Genres: Anstatt also 20 verschiedene, hochkomplexe Riffs bei gefühlt 500 km/h abzufeuern, ging es nun eher um eine Hook, eine Idee, die sehr viel klarer umrissen war. Das Beste daran: Countdown To Extinction fühlte sich trotzdem wie ein konsequenter nächster Schritt an, wie der logische Nachfolger zum Rust In Peace-Vorgänger. Was man von Metallica, bei denen Mustaine zuvor bekanntermaßen selbst für eine Weile mitgemischt hatte, nicht unbedingt behaupten konnte: Zwischen …And Justice For All und ihrem gleichnamigen Album aus dem Jahr 1991 lagen Welten! Einen derartigen Bruch umschifften Megadeth, denn es klang immer noch nach Thrash – nur waren die Refrains jetzt griffiger.



Zudem stimmte der Zeitpunkt für Countdown To Extinction einfach; das Album passte zu den Entwicklungen in der Welt. Schließlich war auch die im Umbruch: Nach der irakischen Invasion Kuwaits war im Januar 1991 der zweite Golfkrieg ausgebrochen. Ungefähr zeitgleich ging auch der Kalte Krieg, der auf das Ende des Zweiten Weltkriegs gefolgt hatte, zu Ende – mit dem Mauerfall und dem Zerfall der Sowjetunion. Das ganze internationale Machtgefüge hatte sich damit verschoben, und diese Veränderungen spiegelten sich auch in der Gesellschaft, in der allgemeinen Stimmung und nicht zuletzt in den Songs, die die Menschen hören wollten…

Seinen Ruf als „Plappermaul“ hatte Megadeth-Frontmann Dave Mustaine damals schon weg, denn auch aus seinen politischen Ansichten hatte er noch nie einen Hehl gemacht. Schon 1988 hatte er gegenüber dem Sounds-Magazine gesagt, dass er, wenn er selbst Präsident der Vereinigten Staaten wäre, an der US-Südgrenze eine Mauer errichten würde, um illegale Einwanderung aus Mexiko einzudämmen (klingt irgendwie bekannt, oder?). Im selben Jahr brachte er auch in Nordirland viele Fans auf die Palme, als er einen Song „der Sache“ (the cause) widmete – was für Eingeweihte vor Ort jedoch so klang, als würde er damit die IRA unterstützen. Erst als die Band danach im kugelsicheren Bus weiterreisen musste, ging ihm auf, dass man das so nicht sagen durfte.



Wurden Mustaines Texte auf dem Debütalbum Killing Is My Business… And Business Is Good (1985) noch als eher okkult eingestuft, befasste sich der Megadeth-Frontmann ab dem Nachfolger Peace Sells… But Who’s Buying? zunehmend mit gesellschaftlichen und politischen Themen: Atomkrieg und Verschwörungstheorien machten den Anfang, bis er 1988 für So Far, So Good… So What! sogar eine Neuaufnahme des Sex Pistols-Klassikers Anarchy In The UK einsang. Auf Countdown To Extinction spielte die Politik schließlich die zentrale Rolle in seinen Texten.

Das große Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Album zieht, ist der Krieg – und zwar nicht nur derjenige, der am anderen Ende der Welt gerade etliche Menschenleben kostete, sondern auch jener innere Konflikt, der in Mustaines Kopf stattfand. Dass ein Song wie Architecture Of Aggression vom damaligen irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein handelt, hat er offen in Interviews betont. Eine Rede von dessen Widersacher, Bush-Senior, taucht auf Foreclosure Of A Dream sogar als Sample auf (ein Stück, das von der US-Wirtschaft und von sozialer Ungerechtigkeit handelt). Und so endet das fünfte Album der Band denn auch mit Ashes In Your Mouth: Alles liegt in Schutt und Asche. Zerstörte Kampfschauplätze, ein imaginiertes Ödland, das danach zurückbleibt.

In Deutschland ein Top-20-Erfolg, ging Countdown To Extinction im Juli 1992 geradewegs auf Platz #2 der US-amerikanischen Albumcharts. Es dauerte nicht lange, bis der Longplayer doppelten Platinstatus in den Staaten verzeichnete. Auch für den Grammy in der Kategorie „Best Metal Performance“ wurde er im Folgejahr nominiert.


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